Somewhere In Iowa

Iowa landet nicht auf den Top-Rängen, wenn es um touristisch attraktive Regionen in den USA geht. Mein Lonely Planet Guide empfiehlt „go straight through“, im National Geographic Reiseführer wird der Staat gar nicht erst erwähnt. Und doch, für mich hatte Iowa einen ganz speziellen Reiz. In meinem USA-Bilderbuch, das ich mir während Jahren immer wieder aus der Dorfbibliothek ausgeliehen habe, sind ein paar Aufnahmen abgebildet, die Iowa als Staat mit unglaublichen Weiten, schönen Sonnenuntergängen und sehr viel Einsamkeit zeigen. In Iowa, so habe ich gelesen, gibt es acht Mal mehr Schweine als Menschen. Und doch, den wenigen Menschen, die den Staat im American Heartland ihre Heimat nennen, kommt in den USA eine ganz spezielle Bedeutung zu. Mindestens im politischen Sinne. Iowa ist der erste Staat, in dem Vorwahlen für die Nominierung der Präsidentschaftskandidaten stattfinden. Iowa ist sowas wie der politische Trendsetter der presidential elections und wird von den jeweiligen Kandidaten stark umworben. Wer in Iowa gewinnt, der gewinnt überall, besagt ein lokales Sprichwort. Gerade jetzt, knapp zwei jahre vor den nächsten Präsidentschaftswahlen, reisen wieder verschiedene republikanische Kandidaten durch das unendliche Farmland, halten Reden, verschenken Posters und Flaggen und künden an, als zukünftige Präsidenten für die ur-amerikanischen Werte, die hier im Heartland grossgeschrieben werden, einzustehen. Tim Pawlenty, Sara Palin, Newt Gingrich und Mitt Romney: sie alle waren dieses Jahr bereits hier und haben die „Iowans“ mit ihren Versprechungen umgarnt.

Iowa ist mindestens in gewissen „barbarischen“ Kreisen aber auch für einen international erfolgreichen Musik-Export bekannt: die Kult-Band „Slipknot“ wurde hier gegründet und wählte die Felder Iowas als Schauplatz für die meisten ihrer Video-Shoots. Ihr Song Vermillion pt.2 – wie ich finde – passt sehr schön zu der melancholischen Stimmung, die über den hügligen Weiten Iowas liegt.

In einem Walmart an der Grenze zwischen Wisconsin und Iowa habe ich mir deshalb Slipknot’s Album „Vol. III: The Subliminal Verses“ gekauft und den Equalizer des Subaru-Soundsystems auf „Hardrock“ gestellt. Ich ratterte los Richtung Westen, knapp 400 Meilen über die staubigen Backstreets von Iowa, und genoss die einsamen Landstriche, auf die ich mich so lange freute. Iowa – hier darf man den grossen Reiseführern für einmal misstrauen – ist wunderschön und in seiner Melancholie und Weite wohl einzigartig…

  
  
  
  

Strassen so endlos wie jene im amerikanischen Südwesten, Sonnenuntergänge so intensiv wie über dem Grand Canyon und Weidelandschaften, die mich sehr an die Felder zwischen Waltenschwil und Boswil-Bünzen erinnerten, nur mit dem Unterschied, dass sie einfach nie aufhören…

   

What’s next? Ich schaue bei den Cheyenne und den Sioux in South Dakota vorbei, keuche durch die staubigen Wüsten des Badlands Nationalpark, würdige die „big four“ Präsidenten beim Mount Rushmore Memorial, fahre hinein in die Rocky Mountains und hinauf zum Yellowstone Nationalpark, bevor ich in Arizona den nächsten hohen Besuch in Empfang nehmen werde. Sounds good, eh?

Macheds guet!

Werbung
Veröffentlicht unter Iowa | 4 Kommentare

Moose Ain’t Loose

Meinen Orbs-Freunden auf Hawaii hätte der Atem gestockt, wenn sie gestern mit mir unterwegs gewesen wären. Und, ich muss zugeben: auch ich habe es einen Moment lang mit der Angst zu tun bekommen auf der „County Road W“, auf der ich kurz vor Mitternacht im Nordwestlichsten Ecken von Illinois Richtung Iowa fuhr. Die „CR W“ ist eine jener ewig langen geraden Strassen, die durch das spärlich besiedelte Farmland im Norden Illinois führt. Strassenbeleuchtungen oder Mittel-Streifen gibt es keine. Alle paar Meilen kommt man an einem oft gelb beleuchteten Bauernhof mit riesigen Stahl-Silos vorbei. Ansonsten ist da weit und breit nichts: nur Felder und ab und dann eine Baum. Nachts ist es stockdunkel in dieser Region, und die Scheinwerfer sind eine Notwendigkeit, um die in der Ferne auf der Strasse hockenden Waschbären rechtzeitig zu erkennen und abbremsen zu können. Das Fernlicht zieht die Motten und Käfer zu Hunderten an. Und fast rhythmisch zerplatzen die armen Viecher auf der Windschutzscheibe. 29 Meilen gerade aus, zeigte mir mein GPS an, dann Links abbiegen auf die Country Road J. Ich ratterte angestrengt auf die Strasse schauend durch die nächtliche Einöde und stellte das Radio an, um mir nicht ganz so verlassen vorzukommen. Der Song „Like a G6“ der Neo-Band Far East Movement lief. Es ist einer jener Songs, die mich an unsere Flagstaff-Roadtrips erinnert. Ich drehte das Volumen auf und holperte zufrieden weiter entlang der CR W. Was mich erstaunte: nach einer kurzen Werbepause wurde der Song ohne Kommentar noch einmal gespielt. Das schien mir ungewöhnlich. Welche Radio-Station würde einen Song zweimal hintereinander spielen. Und während ich noch über diesen Umstand rätselte, stellte ich fest, dass mein Radio ohne mein Zutun stetig lauter wurde. Die digitale „volume“-Anzeige stieg:18…19…20…21. Es gibt im Subaru nur einen Volumen-Knopf, und der liegt weit weg von mir auf der Beifahrer Seite. 22…23…24. Ich schwöre, ich habe den Knopf nicht berührt. 25…26…27. Mich tschudderte es leicht, ich schaltete das Radio aus, schaute auf die Strasse und konnte dank der ersten Vollbremse in meinem Nach-Fahrschul-Leben gerade noch rechtzeitig abbremsen. Auf der Strasse, unmittelbar vor meinem Auto, hockten zwei hellbraune Katzen. Sie starrten mich an, ohne sich zu bewegen. Ich hupte. Die Katzen hockten. Ich hupte noch einmal. Die Katzen starrten mich an. „What the f… is this!“ hörte ich mich sagen, schaltete den Rückwärtsgang ein, backte up, machte eine kurve um die starrenden Katzen und fuhr weiter in die Nacht hinein.

Was habe ich daraus gelernt? Nun, es gibt im Leben Situationen, die ich mir ganz offensichtlich nicht erklären kann. Und da draussen, auf der County Road W im nördlichen Illinois, da geschehen rätselhafte Dinge. Und irgendwie ist das exakt genau jene Stimmung, die ich mir für meinen Trip durch die Great Planes wünschte. Illinois, Iowa, South Dakota, Wyoming: das sind unglaubliche Weiten, Einöde, Farmland. Das sind Schauplätze unzähliger Horrorfilme, Slipknot-Videos und Schauergeschichten. Vielleicht haben mich die beiden Katzen gestern Nacht einfach nur willkommen heissen wollen im American Heartland, das mich für die nächsten Tage verschlucken wird.

Um durch die Great Planes trippen zu können, musste ich vor einer guten Woche aber erst einmal zurück in die USA gelangen. Bei meinem Abstecher nach Canada habe ich alle dafür benötigten Papiere organisiert und stand dann dennoch mit Herzklopfen in Sault St. Marie an der Grenze. Die riesigen Drahtzäune, die schwer bewaffneten Polizisten und die herumlungernden Spürhunde machten mich nervös. Der Grenzbeamte, der sich meine Papiere anschaute, war dann aber ganz nett, stempelte meinen Pass ab, nahm mir meine Sweet Potatoes und meine Rüebli weg (wegen irgendwelchen Agrar-Import Regeln) und liess mich back into the US. Von der Grenze aus fuhr ich westlich durch die wunderbar grüne „Upper Peninsula“ in Michigan. Erster Halt war der Tahquamenon Falls State Park, wo ich mal wieder eine Nacht in meinem Auto verbrachte (das hatte ich in der Zwischenzeit schon fast wieder verlernt) und am nächsten Morgen zu den wegen ihrer goldenen Farbe berühmten Falls hikte. Die Färbung des Wassers wird durch „tannin“ verursacht: ein Toxid, das durch herunterfallendes Laub ins Wasser gerät und die Tahquamenon Falls sprichwörtlich vergoldet.

  
  

Von den Tahquamenon Falls aus fuhr ich nördlich Richtung Keweenaw Peninsula, die einsam und verlassen in die welligen Weiten des Lake Superior hinausragt. Auf der Fahrt ans nördliche Ende der Insel (von wo aus ich am nächsten Morgen die Fähre zum Isle Royale Nationalpark nehmen wollte) sah ich zum ersten Mal in meinem Leben ein Stacheltier, staunte über die ziemlich bedrohlich wirkenden Wellen auf dem grössten Süsswassersee Nordamerikas und kam an einem Haus mit einer interessanten „Inschrift“ vorbei…

  

Die Nacht verbrachte ich in Copper Harbor, einer hübschen kleinen Hafenstadt, die kurz nach Mitternacht von einem ziemlich heftigen Sturm getroffen wurde und für die nächsten knapp 24 Stunden vom Stromnetz abgeschnitten war. Die Fähre zum Nationalpark durfte wegen dem stürmischen See am nächsten Morgen den Hafen nicht verlassen und ich sass einen Tag lang im stromlosen und dafür umso gemütlicheren Copper Harbor fest. Beim Spazieren entlang den felsigen Klippen des Sees stürzte ich und verbrachte den Rest des „Freitages“ damit, mich selbst zu verarzten (nicht meine Stärke) und zu Bemitleiden (schon eher meine Stärke). Ich genoss den wunderbaren Sonnenuntergang mit einer Büchse Yams und fand den Anfang von Highway 41. Ich stellte fest, dass ich mich noch nie nach den Anfängen von Strassen gefragt habe. Mathematisch gesprochen (oha!) waren Strassen für mich stets Geraden: nimmer endende, aus dem Nichts auftauchende Verkehrsadern. Anyway…

  

Mit meinem 32 Kilogramm Rucksack und voller Vorfreude auf „America’s last wilderness“ kam ich am Donnerstagmorgen endlich auf der Isle Royale an. Der Nationalpark liegt gut isoliert und fast gänzlich unberührt inmitten des Lake Superior, 50 Meilen von Michigan und 20 Meilen von Canada’s Southern Shores entfernt. Strassen, Strom oder fliessendes Wasser gibts keines. Dafür treiben sich in den weiten Wäldern Wölfe, Elche und Luchse herum. Ich buckelte meine Camper-Last und wanderte zur Daisy Farm, einem kleinen Campingplatz an der Ostküste der Insel. Ausser mir war niemand da. Die Ruhe und Stille waren fast unheimlich schön…

  

Highlight des Parks wären seine Wildtiere, wenn man sie denn finden würde. Die Chance auf einen Wolf ist klein. Auf der gut 500 Quadratkilometer grossen Insel leben gerade mal 12 Wölfe. Zu ihnen gesellen sich 530 Elche, die sich wegen der momentanen Gebähr-Zeit aber in ihre unzugänglichen Habitate zurückgezogen haben. Interessant ist die Geschichte der Tiere auf der Insel. Die Wölfe wanderten im Rekordwinter 1948 über den zugefrorenen See und etablierten sich ziemlich erfolgreich als neues Top-Ende der Isle Royale-Nahrungskette. Die Elche warteten nicht erst den kalten Winter ab, sondern schwammen in den 1930er Jahren kurzerhand von Canada 20 Meilen durch den Lake Superior auf die Insel. Bewundernswert, finde ich. Gesehen habe ich aber weder einen Wolf noch einen Elch, was mich ein wenige enttäuschte. Vor allem, weil ich am Tag 2 auf der Insel ganze 27 Kilometer durch die dichten Wälder wanderte, um ein bisschen Wildlife zu sehen.

Kein Wolf, kein Elch, dafür Eichhörnchen, Schlangen, Feldhasen, Gelbkopf-Schildkröten (viel kleiner als ihre Artgenossen in Florida: Darwin würde Freudensprünge machen), Kröten und in schönen Formationen umherfliegende Gänse…

  
  
  

Wildlife Highlight war der Bald Eagle (Seeadler), das Nationaltier der USA, der auf der Isle Royale nur sehr selten gesichtet wird. Ich habe ihm gut 20 Minuten lang beim auf dem Ast Hocken zugeschaut. Danach schwand meine Geduld und ich liess ihn sitzen. Ich hoffe, in den Badlands in South Dakota (da soll es die Vögel in Massen geben) ein schönes Flugbild machen zu können.

  

Von den Hauptakteuren fand ich nur Spuren, Droppings und Landschaftsstriche, in denen ich als Elch meinen Tag verbringen würde. Doch, da haben ich und die wahren Elche offenbar unterschiedliche Vorstellungen…

  

Leicht erschöpft, müde und hungrig kam ich kurz nach acht Uhr von meinem Hike zurück zum Campingplatz, nicht gerade voller Vorfreude auf die kalten Penne vom Vorabend und den harten Boden, auf dem ich die Nacht zuvor schon schlecht geschlafen habe. Und da, mitten auf dem Camping Platz, stand ein grosser Mann, der mich anschaute und laut meinen Namen rief. „Are you Mister Schumacher, Samuel Schumacher?“ – „Why do you wana know that?“ – „C’mon, are you Sam?“ – „Yeah, why do wana know that?“ Der Mann kam auf mich zu und klopfte mir auf die Schulter. Mir war das ganze ein bisschen unheimlich. „Listen, tomorrow’s ferry trip was cancelled due to stormy winds.“ Die Fähre könne nicht wie geplant am Samstagnachmittag zurück nach Copper Harbor fahren. Die einzige Möglichkeit sei der frühe Morgen. Und ich sei der einzige Camper, der noch nicht auf dem Hafen-Campingplatz eingetroffen sei. „That’s because I just came back from a day-hike.“ – „So, can you make it to the harbor by 9 am tomorrow?“ Für den Hinweg vom Hafen zur Daisy Farm brauchte ich fünf Stunden. „I’d have to get up at 3 to make sure I’m there in time.“ Der Mann klopfte mir wieder auf die Schulter. Erst jetzt stellte er sich mir als Fähre-Captain vor. „I’m Don.“ Sie hätten am Nachmittag wegen den hohen Wellen nicht mehr nach Copper Harbor zurückfahren können und „over there“ (er zeigte auf den nebligen See hinaus) „geparkt“. Wenn ich wolle, könne er mich in seinem Motorboot mitnehmen, dann könnte ich auf der Fähre übernachten und müsste nicht um drei Uhr Nachts zum Hafen hiken. „You’d like it over there. We have Hamburgers, Hotdogs and Vodka“, lachte Don. Und so packte ich meine sieben Sachen und wurde von Don in seinem kleinen Motorboot über den nebligen See chauffiert. Nach etwa 5 Minuten zeichneten sich im Nebel die Lichter der „geparkten“ Fähre ab. Sie ankerte vor der Caribou Island, einer kleinen „Vor-Insel“ der Isle Royale. Die Fähre, mitten im nebligen Dämmerungslicht, bot einen gespenstischen Anblick. Empfangen wurde ich von den beiden Mates Carl und John. Und, zum Znacht gabs dann tatsächlich Hamburger, Hotdogs und Vodka. Fast ein bisschen Klichée, drei Matrosen, die bei stürmischer See auf ihrem Schiff hocken und Vodka bechern. Anyway. Meine Gastgeber richteten mir im Schiffsbauch eine kleine Kajüte mit Matratze, zwei Kopfkissen und einem Lämpchen ein. Und so wurde aus meinem geplanten Wildnis-Trip ein recht gemütlicher Ausflug, inklusive Einzelzimmer, Grillparty und lustiger Gesellschaft…

Gut erholt landete ich am nächsten Morgen in Copper Harbor und trippte durch Michigan südwärts Richtung Wisconsin. Die nördliche Hälfte des „Dairy State“ (über 50 Prozent aller Milchprodukte der USA werden hier produziert) ist ein nicht enden wollender Laubwald mit hunderten Seen und Flüssen…

  

Je weiter südlich man fährt, umso mehr machen die Laubwälder riesigen Bauernhöfen und Grasflächen Platz. Wenn man den Norden Wisconsin generalisierend als Laubwald beschreibt, dann ist der Süden schlicht eine nicht enden wollende Kuhweide. Und – man staune – da, mitten in dieser Kuhweide, liegt das „Green County“, das Durchreisende mit einer riesigen „America’s Little Switzerland“-Tafel begrüsst. Das wollte ich genauer wissen, übernachtete im Super 8 vis-à-vis der „Käserei Roth“ und machte mich am anderen Morgen auf, den Schweizer Wurzeln der Region auf den Zahn zu fühlen. Angefangen habe ich im Cheese Store der Käserei Roth, wo mich ein urchig dreinblickender Mann begrüsste und mich durch das gesamte Käsesortiment „führte“. Woher ich denn sei, wollte er auf halber Strecke wissen. „Switzerland“, sagte ich. „A luege do, äuno ä Schwiizer!“, freute sich der Ladenbesitzer und stellte sich als „Toni“ (kein Witz!) aus Erstfeld vor. Er sei vor gut 30 Jahren hierhin gekommen, nach einem abgeschlossenen ETH-Studium. „Ond ietze verchöifi do Chääs. So chas eim go.“ Toni gab mir unzählige Tipps, was ich im Green County alles besuchen solle. Und so machte ich mich mit einer Packung Crackers und einem Stück „Urner Bergkäse“ auf nach New Glarus, dem Hauptort der Region. Neben „Baumgartner’s Famous Swiss Apple“ Restaurant fand ich die „Glarner Stube“, ein waschechtes Glarner Chalet aus dem 19ten Jahrhundert, ein „Grüetzi“-Schild (das neben der bröckelnden Wildwest-Fassade etwas deplatziert ausschaute), das Wohnhaus von „Uli der Pächter“ und eine stolze Fahnenkombination, die in der Schweiz wohl nur begrenzt auf Verständnis stossen würde. So ist das also: wir Eidgenossen haben auch unseren Flecken in der neuen Welt. In fact, wie mir Toni erzählte: „dr ganzi Süde vo Wisconsin ghört de de Schwiizer, weisch.“ Witzig, irgendwie, dieses Little Switzerland, das sich da in den Weiten der Planes gemütlich ausbreitet…

  
  
  

Am Abend gönnte ich mir einen Besuch im lokalen Autokino, wo man sich für 7 Dollar zwei aufeinander folgende Filme anschauen kann. Nach „Pirates of the Caribbean IV“ hatte ich aber genug und wollte abschleichen. Doch, der Subaru sprang nicht an. Zwei Stunden Klima-Anlage bei ausgeschaltetem Motor war wohl etwas zuviel für die Autobatterie. Und so kam es, dass ich – während vorne auf der Leinwand Vin Diesel mit seinen Kameraden in fetten Schlitten durch die Strassenfights von „Fast Five“ düste – bei meinen „Sitznachbarn“ anklopfen und sie um Hilfe für einen Jump-Start bitten musste. Der Typ rechts von mir, ein Automechaniker, hatte ein Aufladegerät bei sich und brachte meinen Subaru im Nullkommanichts zum Rattern. Ich bedankte mich und fuhr los Richtung County Road W. Aber, diese Geschichte kennt ihr ja schon…

Zum Abschluss ein Wochenrückblick im Hochformat:1) Tahquamenon Falls, 2) Ausblick vom Ojibway Mountain auf der Isle Royale hinüber zu den canadischen Southern Shores, 3) das Kleinstädtchen Houghton im Dämmerungslicht, 4) der Allen Lake im nördlichen Wisconsin.

   So long us Iowa!

Macheds guet ond liebi Grüess…

Veröffentlicht unter Illinois, Michigan, Wisconsin | Kommentar hinterlassen

Sudbury Sessions

Steve, der Hotel-Clerk im lokalen Super8-Motel, schaute mich unbeholfen an, als ich ihm nach den für ihn ungünstig verlaufenden Preisverhandlungen auch noch fragte, ob es denn in Sudbury irgendwas zu sehen gäbe. „Well, yes, we have a lake. It’s nice.“ Eine Stadt mit eigenem See, das ist durchaus was. Nur, hier im nördlichen Ontario, im „Cottage Country“, wo viele Grossstadt-Kanadier ihre Wochenend-Hütten und Wohnwagen haben, ist es als Ortschaft ziemlich schwierig, keinen See zu haben. Die weitläufige Waldlandschaft der Region ist voll von Flüssen, Creeks und kleineren Seen, die in mir dieses unbeschreiblich Canada-Gefühl weckten. Ich habe mehr als einmal Halt gemacht auf meiner Reise von Toronto hierhin in die „City of Greater Sudbury“ (GCoS). Nicht nur wegen dem rüttelnden Subaru, dem ich seine Pausen gönnen wollte, sondern vor allem auch, weil mir diese wilde kanadische Landschaft unglaublich gut gefiel. Es tut gut, nach all den Grossstadt-Tagen wieder etwas Frischluft zu schnuppern, auch wenn ich heute Mittag nur ungerne aus dem gemütlichen Basement-Zimmer meiner Verwandten in Toronto ausgezogen bin.

Und jetzt, am letzten kanadischen Tag, bevor ich morgen früh in Sault St. Marie mit meinen neuen Visums-Papieren über die amerikanische Grenze gehen und auf der Michigan-Halbinsel mein Zelt aufschlagen werde, bin ich also in Sudbury, der Greater City of Sudbury, die für mich aus einem Grund einen ganz speziellen Reiz hat: meine Schwester hat hier im letzten Jahr ihren Austausch verbracht und auf ihrem Blog immer wieder aus der kanadischen Provinz berichtet. Ob man Sudbury wegen seiner schönen Lage inmitten des Cottage Countrys mögen oder wegen seiner offensichtlichen Schläfrigkeit (in der Stadt gibt es laut dem online Lonely-Planet-Guide „Zero Things To Do“) gar nicht erst beachten soll, ist für Kanada-Touristen offensichtlich gar keine Frage. Steve, der Super8-Clerk, hat mir jedenfalls gesagt, dass ich seit Tagen der erste Ausländer im Hotel sei.

Anyway, ich liess mich vom Lonelyplanet-Nullrating und Steve’s lahmen „lake“-Tipp nicht beirren und machte mich in der GCoS auf „Juli-Jagd“; sprich, ich scrollte mich durch den Blog meiner Schwester und klapperte los, um das Sudbury-Abenteuer trotz der fortgeschrittenen Stunde in vollen Zügen geniessen zu können. Das Visitor-Center war leider geschlossen (Öffnungszeiten Mo-Fr, von 9.30 bis 16.30 Uhr), dafür wehten die offensichtlich neuen GCoS-Fahnen auf dem Parkplatz im kühlen Abendwind. Am Lake Ramsey traf ich auf einen recht fotogenen Holz-Steg und eine Werbetafel für das „Science North“ Center, einem Schneestern-förmigen Museum mit allerlei Ausstellungen und einem IMAX. Ich kam gerade noch rechtzeitig für den „Wild Ocean“ Film, den ich mir mit den beiden anderen Kinogästen anschaute und danach pünktlich zum Sonnenuntergang auf dem Sudbury-Hausberg neben dem Big Nickel stand. Der Big Nickel ist wohl sowas wie das Wahrzeichen der Stadt, in der seit jeher nach Edelmetallen und Rohstoffen gegraben wurde. Im Dämmerungslicht kurvte ich über den Laurentian University Campus, sah ein paar Gänse und einen freundlich winkenden Security Menschen. Zur Krönung des Sudbury-Adventures fuhr ich hinunter ins Stadtzentrum zu „Tim Horton’s“, wo man den hierzulande legendär-schlechten Kaffee ausgeschenkt bekommt. Ich kaufte mir einen XL-Becher, nahm einen Schluck und schmiss das Gebräu danach entschieden in den Recycling-Kübel neben dem Eingang.

Tim Horton’s hin oder her: Sudbury hat mir eigentlich ganz gut gefallen. Doch nun: farewell, GCoS, probably I won’t be back…

  
  

Cu on the other side der amerikanischen Grenze!

I’ll be where the wild things are…

Veröffentlicht unter Ontario | 2 Kommentare

Shake It, Baby!

Muss man sich schämen, wenn man als Schweizer Bürger nie auch nur ein Wort aus Max Frisch’s literarischem Werk gelesen hat? Ist das verwerflich, peinlich, oder vielleicht normal? Zählt Max Frisch denn noch? Ist er relevant, oder vorüber, oder wieder im Kommen? Ich weiss nur: es lässt sich leben, auch ohne den literarischen Übervater der Nation. Es lässt sich sogar einigermassen erfolgreich Literatur studieren, ohne Frisch und dessen Schriften zu kennen. Doch dann, im hintersten Ecken von Long Island – der steinreichen Halbinsel, die östlich von New York City rund 150 Kilometer weit in den Atlantik herausragt -, kommt man plötzlich nicht mehr weiter, ohne sich mit Frisch zu konfrontieren. Montauk: ein heruntergekommener Leuchtturm, glitschig-nasse Felsklippen, übel riechende Breakfast-Schnellrestaurants entlang der löchrigen Hauptstrasse und eine handvoll leerstehender Terrassenhotels mit Ausblick auf den schäumenden Atlantik; diesen Ort hat Max Frisch ausgewählt als literarischen Schauplatz für eines seiner (laut Reich-Ranicki) einflussreichsten Werke. „Montauk“. Weshalb Montauk? Was führte dich hierhin, Max Frisch? Was in aller Welt hat dich an diesem trüben Ort derart inspiriert? Hätte sich Max Frisch Zeit genommen, die USA zu bereisen, dann hätte er sich nicht mit diesem tristen East Coast-Flecken zufrieden gegeben. Dann hiesse sein „Montauk“ „Monterey“, oder „Laina“, oder „Taos“. „Montauk“, so it be…

Roman und ich, jedenfalls, machten uns in Montauk vergeblich auf die Suche nach literarischer oder sonstiger Inspiration. Gefunden haben wir bloss scheusslichen Kaffee, überteuerte Parkplätze und einen Tross verschwitzter Pensionierter, die uns im Gegenzug für ein Gruppenfoto ein fürstliches Honorar anboten.

  

Weitaus inspirierender (wenn auch nur im architektonischen Sinn) sind die „Hamptons“ im Zentrum der Long Island, wo sich die reichen New Yorker in vergangenen Zeiten ansehnliche Multimillionendollar-Villen bauten, um übers Wochenende dem Grossstadtlärm zu entfliehen und umgeben von gleichgesinnten Upperclass-Menschen auszuspannen. Long Island wird seinem Image als Playground der New Yorker Upperclass ohnehin in Vielem gerecht. Unter der Woche scheinen die nicht enden wollenden Millionärs-Neighborhoods wie ausgestorben. Die riesigen Parks rund um die Mega-Villen sind leblos. Die schönen Strände (einer davon erhielt im letzten Jahr die Auszeichnung zum „#1 Beach in America“) sind menschenleer. Wir machten uns auf zum Neighborhood-Watching und staunten ab all den pompösen Immobilien,  den überdimensionierten Gartenanlagen und den teuren Autos in den Auffahrten. Ins Staunen brachte uns auch der riesige „Shellfish“, den wir an einem Strand ausserhalb von Southhampton fanden…

  

Per Fähre siedelten wir von der Long Island (auf der zur Zeit übrigens ein mysteriöser Serienmörder sein Unwesen treibt) über nach New Haven, Connecticut. New Haven wäre ein eher trister Ort, wären da nicht die eindrücklichen Gothik-Bauten der Yale University, die in fast sämtlichen akademischen Kategorien auf einem Top Ten Platz landet und uns brave Zürcher Studenten nur schon mit ihren Efeu-bewachsenen Mauern ins Schwärmen versetzte. Wir gönnten uns eine Führung über den Campus, besichtigten die verschiedenen Wohnquartiere der „Yalees“, schauten in der wunderschönen Bibliothek vorbei und verloren nach und nach die anfänglich noch recht hohe Zuversicht, dass auch wir vielleicht eines Tages als Studierende hier ein- und ausgehen könnten. Es war beinahe deprimierend, unserem knapp 20-jährigen Tourguide zuzuhören, wie er mit witzigen Anekdoten, scharfsinnigen Bemerkungen und einem unglaublichen Wissen aus dem Yale-Alltag erzählte. Als der angehende Biochemiker vor der Geisteswissenschaftlichen Bibliothek dann auch noch anfügte, dass er „just for fun“ nebenher Geschichte studiere und gleich darauf von seiner Forschungsarbeit über die Rolle der Confederates im Staatsbildungsprozess der jungen Vereinigten Staaten erzählte, gab ich die Hoffnung endgültig auf, jemals in diesen Mauern erfolgreich bestehen zu können. Nicht, dass ich das ernsthaft geplant hätte. Aber, wer weiss. Die Bewerbungsunterlagen für den Yale PhD habe ich jedenfalls mal auf meinem Desktop abgespeichert. Roman versuchte mich nach der Führung in einem Nebenstrassen-Starbucks (voll mit offensichtlich fleissig lernenden Yale Studenten) aufzumuntern. „Wenigschtens hends die Amis ned so met Frömdsproche“, meinte er. Die Reaktion des Aushilfs-Verkäufers an der Kasse kam postwendend. „Woher seid ihr denn“, fragte er uns in lupenreinem Hochdeutsch und erzählte, dass er mal ein Jahr in Konstanz studiert habe, um ein wenig an seinem Deutsch zu feilen. Die „Yalees“ sind mir wohl doch ein paar akademische Nasenlängen voraus. Das muss ich neidlos eingestehen…

Umgeben von Efeu-überwachsenen Mauern wirken die dunkeln Gothik-Bauten der Yale University wie eine Welt für sich. Beeindruckendes Herzstück des Campus ist die Hauptbibliothek (Bild 3), die nach dem Vorbild einer italienischen Kathedrale erbaut wurde und mit wunderschönen Lesesälen zum Verweilen einlädt…

  

Östlich von der Ivy League-Hochburg New Haven liegt Rhode Island, der kleinste Staat der USA. Wir stoppten in der Hauptstadt Newport, kehrten in der Black Pearl auf ein paar Softshell-Krabben ein, schauten uns die typischen New Englang-Holzfassaden in den Backstreets des Städtchens an und statteten der Vanderbuilt-Villa einen Besuch ab. Die Vanderbuilts machten im 19. Jahrhundert eine Menge Geld als Eisenbahn-Patrons und stellten ihren Riesenpalast nach dem 2. Weltkrieg der Öffentlichkeit als Museum zur Verfügung. Übrigens: die Vanderbuilt-Zwillinge, die Facebook-Gründer Mark Zuckerburg erfolgreich auf Ideenklau verklagten und eine erste Abfindung von 65 Millionen Dollar einsacken konnten, gehören ebenfalls zur Vanderbuilt-Dynastie…

  

Von Rhode Island aus reisten wir dem verregneten Cape Cod entlang nach Provincetown, wo man uns Unwissende mit Regenbogen-Fahnen und sehr nettem Lächeln empfing. Über 80 Prozent der Immobilien in „P-Town“ sind im Besitz von Homosexuellen, die dem herzigen Städtchen am obersten Rand des Cape Cod den stolzen Titel des „gayest town of America“ verliehen. Wir lächelten zurück, hofften auf Sonnenschein, spazierten über einen glitschigen Damm zum nördlichsten Leuchtturm der Halbinsel und kehrten im „Lobster Pot“ ein, wo ich mir einen Kindheitstraum erfüllte und einen 2-Pfund Hummer bestellte. Er war fantastisch! Die Whale Watch-Ausfahrt, für die wir am zweiten P-Town Tag extra früh aus den Bed&Breakfast-Federn hüpften, war leider ein Flopp. Während vier stark schaukelnden Stunden haben wir keine einzige Flosse entdeckt…

  
  

Zum Abschied unseres WG-Trips fuhren wir für drei Tage nach Boston, wo wir den historisch angehauchten „Freedom Trail“ abspazierten, uns alte Segelschiffe und moderne Kriegsfrachter anschauten, Boston Baked Beans (eine Art Countryside-M&Ms) schlemmten, das neue Starbucks-Logo erblickten, Samuel Adams und seinen Co-Patrioten aus dem Unabhängigkeitskrieg auf dem Friedhof einen Besuch abstatteten, vom höchsten New England-Wolkenkratzer hinab ins Nebelmeer schauten und uns noch einmal an eine Ivy League-University heranwagten: Boston beheimatet die Harvard University, die sich im offiziellen Shanghai-Ranking (so eine Art Who is Who der akademischen Bildungsstätten dieser Welt) seit Jahren auf Rang 1 behaupten kann. Nördlich von Boston schauten wir beim Witchhunt-Memorial in Salem vorbei. Salem wurde 1692 zum Schauplatz der wohl tragischsten Hexenprozesse der amerikanischen Geschichte. Auf dem Memorial findet man die Namen aller Hingerichteten „Hexen“ in Stein gemeisselt, schlicht und trist, und vielleicht gerade deshalb ziemlich eindrücklich…

1) Das Nebelmeer hat uns bis nach Boston verfolgt; 2) von diesem Balkon herab wurde den frühen Siedlern die Unabhängigkeitserklärung verlesen. Boston wurde in den darauffolgenden Jahren zum Epizentrum des American War of Independence; 3) die USS Constitution wurde in den Seeschlachten gegen die Engländer mehrmals erfolgreich eingesetzt und schaukelt heute im Hafen gemächlich vor sich hin; 4) in der Christian Science Church (im Vordergrund) kann man tagsüber die weltgrösste Kirchenorgel besichtigen; 5) das neue Starbucks-Logo; 6) Samuel Adams & Co versuchen hier unter dem Getrampel der Touristenscharen zur Ruhe zu kommen; 7) eine der vielen Halls auf dem Harvard-Campus; 8 ) die John Harvard Statue (wer kennt die drei berühmten Lügen?); 9) Schriftzug auf dem Witchhunt Memorial in Salem…

  
  
  

Roman ist vor ein paar Tagen wieder abgereist. Was bleibt sind ich und mein klappriger Subaru, den ich in Toronto ein weiteres Mal gründlich durchchecken liess. Diesmal nicht von einem schwer verständlichen Mechaniker in einer schummrigen Nebenstrasse, sondern vom Subaru Master Technician an der emsigen Yonge Street. Der Mann hat den Subaru für eine milde Spende fein herausgeputzt, das Computer-Programm (von dessen Existenz ich bisher gar nichts wusste) upgedatet und die Fuel Efficiency des Autos dadurch deutlich verbessert. Das Klappern, das bleibt mir aber trotz all den Eingriffen erhalten. Das Schaltgetriebe ist’s, das da so vor sich hinrattert. Die 5’000 Dollar Reparatur gönne ich mir nicht. Sorgen mache ich mir vorläufig aber auch keine mehr. Ein Sicherheitsrisiko besteht nicht, und das Getriebe sollte es locker noch ein paar Wochen schaffen, meinte der Mechaniker. On verra.

Ich bin on the way to Michigan, werde morgen in Sudbury vorbeidüsen, wo meine Schwester ihr Austauschsemester verbrachte, und Anfang nächste Woche für ein paar Tage im Isle Royale Nationalpark verschwinden. Da gibts Wölfe, Bären, Elche und hie und da sogar ein paar Funken Nordlicht. Ich hoffe auf bildtechnisch gutes Blog-Futter und friedliche Begegnungen mit den vierbeinigen Inselbewohnern.

Bes gly, I am where the wild things are…

Veröffentlicht unter Connecticut, Long Island, Massachusetts, Rhode Island | Kommentar hinterlassen

Osamania

11 Tage New York City, das mag verschwenderisch tönen. New York, Strassenschluchten, Betontempel, Rushhour-Lärm. Was will man da, 11 Tage lang?Doch, wer wie ich einmal das Vergnügen hatte, Paul Auster’s „New York Trilogy“ zu lesen, der weiss: New York hat man erst gesehen, wenn man sich komplett darin verliert und sich dem Gewimmel der scheinbar unendlichen Grossstadt geschlagen gibt. Widerstand scheint zwecklos. New York lässt einen nicht los und macht den Abschied schwer. Besonders in Zeiten wie diesen.

Tragischer Teil der Faszination New Yorks ist der Ground Zero, das klaffende Nichts in der Skyline des Big Apple, wo bis Anfang September 2001 die beiden WTC-Türme über 400 Meter hoch in den Himmel ragten und wo sich heute, nach knapp 10 Jahren Aufräumarbeiten und Neubau-Plänen, ein neuer Riesen-Skyscraper langsam aber stetig in den Himmel hochschraubt und in weniger als einem Jahr das neue höchste Gebäude Nordamerikas sein wird. Trotz dem lauten Baulärm und den Scharen von Touristen und Wallstreet-Brokern, die zu tausenden in den Strassen rund um den Ground Zero umherschlendern und -hetzen, hat der Ort etwas Besinnliches. Leute legen Blumen nieder, hängen Briefe an ihre verstorbenen Verwandten auf oder schauen stolz auf die blaue Glas-Fassade des mächtigen Neubaus, der bei meinem letzten Besuch hier noch nicht zu sehen war und heute bereits alle Gebäude in Manhattan (mit Ausnahme des Empire State Buildings) überragt.

Die Erschiessung Bin Ladens zauberte dem an sich so unschuldigen Schrein des amerikanischen Bundes ein hässliches Lächeln aufs Gesicht. Hasstiraden gegen Bin Ladens Al Qaida wurden auf die blauen Sichtschutz-Blachen gekritzelt und aggressive Titelstorys über die Erschiessung des Top-Terroristen an die Zäune geheftet. Landesweit dominierte die Erschiessung Bin Ladens in den vergangenen Tagen die Fernseh-Sendungen und Tageszeitungen. Amerika feiert sich und sein Bündnis wieder. Bin Laden ist tot, das Freiheitsgefühl und der Sinn für Zusammengehörigkeit leben auf. Es ist beunruhigend zu sehen, wie die Ermordung eines Menschen, sei er noch so rachsüchtig und gefährlich wie Bin Laden, eine ganze Nation im kollektiven Freudentaumel versinken lassen kann. Die einzige Kritik an der Erschiessung Bin Ladens, die ich von amerikanischer Seite her mitbekam, kam vom US-Dokumentarfilmer Michael Moore, der sich in einem CNN-Interview mit Pierce Morgan enttäuscht zeigte über das Navy Seal Kommando, das Bin Laden aus der Welt schaffte. Moore, der hierzulande eher als anti-patriotischer Komiker denn als ernstzunehmender Journalist betrachtet wird (fälschlicherweise, meiner Meinung nach), zog den gewagten Vergleich zu den Nürnberger Prozessen und betonte, wie wichtig es für die internationale Gemeinschaft und die von 9/11 und anderen Qaida-Anschlägen Betroffenen gewesen wäre, Bin Laden in einem streng und korrekt geführten Gerichtsverfahren mit seinen Taten direkt zu konfrontieren und zur Verantwortung zu ziehen, statt ihn per Erschiessungskommando zum Märtyrer eines aggressiven Glaubenskreises zu machen. Die zynischerweise erfreuliche Folge von Bin Ladens Erschiessung ist der Popularitätsanstieg von Barack Obama, der sich mit dem Entscheid, Bin Laden mit einer gewagten Navy Seal-Aktion vom Thron zu stossen, in den Augen vieler Amerikaner vom sozialistischen Wirtschaftsschreck zum starken Führer der Nation gemausert hat. Ich mag Obama den Popularitätsschub von Herzen gönnen. Laut der neuesten CNN-Umfrage stehen wieder 59 Prozent der US-Bürger hinter ihrem Präsidenten. Wenn Obama 2012 dank der Beseitigung Bin Ladens wiedergewählt wird, dann hat sich das ganze Theater wohl sogar gelohnt.

Obama kam zwei Tage nach der von ihm befehligten Aktion in Abottabad persönlich zum Ground Zero, um vor einer geschlossenen Gesellschaft eine kurze Rede zu halten. Und während Annina sich mit einer aus Canada angereisten Kollegin traf, kämpfte ich mich durch das dichte Human-Gewimmel in Downtown-Manhattan, um auch einen Blick auf die vorbeifahrende Präsidenten-Parade werfen zu können. Obama live zu sehen war ein für mich sehr spezielles Erlebnis. Als ich den mächtigsten Menschen der Welt wenige Meter von mir entfernt hinter dem dicken Panzerglas seiner Limousine erkannte und sah, wie er strahlend in die Menge winkte und mich, wie ich mir einredete, für einen kurzen Moment anschaute, überfiel mich dieses seltene Gefühl, irgendwo tief zwischen Glückseligkeit, Schwäche und Stolz zu versinken. Der Vergleich ist wohl verfehlt, aber; die Intensität dieses Moments erinnerte mich an den Augenblick, in dem mir Marilyn Manson als 19-jähriger kurz die Hand hinstreckte, während er stimmgewaltig seine „Coma White“-Ballade in die Weiten des Hallenstadions hinausschrie. Auch ich bin nur ein Mensch, schwach und ehrfürchtig im Angesicht von Macht und Ruhm…

1-3) Eindrücke vom Ground Zero. 4-6) Das mediale Interesse, der Menschenauflauf in den Strassen Manhattans und der wiedererwachte Stolz der Amerikaner auf ihren Präsidenten waren beeindruckend. 7-9) Das Präsidentenlogo auf der Fahrerseite beweist: it is him! Auf der Rückfahrt vom Ground Zero zum Flughafen erblickte ich Obama auf der Rückbank. Schaut genau hin!

      

Doch, Ruhm und Ehre ist nicht alles, was der Big Apple zu bieten hat. Manhattan kann auch „downright dirty“ sein, schäbig und widerlich. Wer diese Seite New Yorks kennen lernen möchte, sollte sich ein Zimmer im Hotel Carter nehmen. Der riesige Hotelkomplex, der an bester Lage direkt beim Times Square steht, ist der einzige Ort in Manhattan, der Zimmer für weniger als 200 Dollar pro Nacht anbietet. Für New Yorker Verhältnisse „läppische“ 88 Dollar verrechnet einem das Carter pro Nacht. Wir buchten für fünf Tage und freuten uns darauf, unsere letzten gemeinsamen Tage in Amerika gemütlich ausklingen zu lassen. Im Carter angekommen wurden wir von einem betrunkenen Serviceman auf unser Zimmer begleitet. Der alte Mann, der unser Gepäck unsanft auf sein Chärreli schmiss, rammte auf dem kurzen Weg vom Lift zu unserem Zimmer mehrmals die Hotelwände und überfuhr zweimal Anninas vom Chärreli runterhängende Mammutjacke. Das Zimmer selbst war schmucklos, die Farbe an den Wänden abgeblättert, der Geruch etwa so intensiv wie jener in der Frittierküche eines Fastfood Restaurants, auf dem Boden lagen alte Deos und Wattenstäbchen. Wir entschieden uns, nur mit den Schuhen auf dem dreckigen Teppich rumzulaufen, mieden den Schrank, breiteten unsere Sachen stattdessen auf einem der zwei harten Doppelbetten aus und verzichteten der Umstände wegen sogar darauf, unsere tägliche Ration Rumpfbeugen und Liegestützen zu absolvieren. Als ich meinem Zürcher WG-Mitbewohner Roman von unseren ersten Eindrücken im Carter erzählte, googelte er das Hotel und hatte beunruhigende Neuigkeiten für uns: das Carter wurde in den letzten Jahren viermal in Folge zum „dirtiest hotel in the US“ gekührt. Hotelgäste haben in den zugewiesenen Zimmern neben liegengelassener Dreckwäsche und allerlei Ungeziefer auch schon mal eine Leiche gefunden. Als wir dann auch noch feststellten, dass das Carter nicht viel von Zimmerservice hält und man sich selbstständig um frische Badtücher und WC-Papier kümmern muss, checkten wir frühzeitig aus und siedelten für die letzten beiden gemeinsamen Nächte ins Pod-Hotel an der 51. Strasse. Die Flucht lohnte sich, das Pod Hotel war den Zusatzbatzen wert!

Um uns vom ersten Carter-Schreck zu erholen spazierten wir über die Brooklyn Bridge, bestaunten die Manhattan-Skyline im abendlichen Gegenlicht, gönnten uns im Dumbo-Quartier eine thin crust pizza und spazierten den nächtlichen Brooklyn Heights entlang…

      

Wir liessen uns vom Highspeed Lift des Rockefeller Centers auf die „Top of the Rocks“-Aussichtsplattform fahren und genossen die frischen Böhen hoch über den Dächern New Yorks…

  

Wir planten unsere restlichen New Yorker Tage bei einem guten Cappuccino im „European Cafe“, erwischten die Freiheitsstatue in ihrer Mittagspause, liessen uns vom Broadway-Musical „Mary Poppins“ begeistern, spazierten auf dem nächtlichen Times Square umher, statteten dem wunderschönen Lesesaal der New York Public Library einen Besuch ab und erwiesen George Washington unsere Ehre. Als Lückenfüller dient der Zettel, den ich nach Anninas Abreise an der Tür der Jazz on the Park Jugendherberge fand. Im „Jazz“ verbrachte ich die ersten sechs Nächte meines Amerika-Jahres. Nach neun Monaten wieder hierhin zu kommen, sich in die lärmige Jazz-Lobby zu setzen und darüber nachzudenken, was ich in der Zwischenzeit so alles erlebt habe, das wäre wohl ein wunderbar nostalgischer Moment geworden. Wie ich feststellen musste, gibt es das „Jazz on the Park“ leider aber gar nicht mehr. Die Jugi wurde geschlossen, weil das gesamte Haus nach Ansicht der New Yorker Baubehörden einsturzgefährdet ist. Na, da hab‘ ich ja nochmals Glück gehabt und im letzten August wohl gerade noch rechtzeitig ausgecheckt…

  
  

Wir spazierten durch Chinatown, wo einem kleine Chinesinnen alle fünf Meter „wana watch, bag, massage?“ ins Ohr flüstern und in ihre geheimen Keller- oder Estrichverliesse locken wollen. Schwarzarbeit lohnt sich in diesem Teil der Stadt. Der ganze Bezirk, schreibt der Merian Reiseführer, wird von kriminellen chinesischen Gangs kontrolliert, die von allen Läden horrende Schutzgelder verlangen und gnadenlos jedem ihren Kodex aufzwingen. Gemütlicher ist SoHo, das voll ist von teuren Boutiquen und witzigen Mini-Stores. Mein Favorit: der „Evolution Store“, in dem man vom Alligatorenkopf bis zu gewürzten Würmer-Snacks alles bekommt. Am dörflichsten aller New Yorker Stadtteile ist Greenwich Village, wo Efeu-bewachsene Treppengeländer zu den bemalten Türen kleiner Backsteinhäuser hinaufführen und man in den reflektierenden Schaufenstern der Strassencafés heimlich schöne Spaziergängerinnen beobachten kann…

  
  

New York, so scheint mir, ist besonders fotogen im Hochformat. Here you go…

   

Annina ist nach unserem vierwöchigen East Coast-Trip vergangene Woche nach Hause geflogen. Es war wunderschön und unvergesslich, einen Teil meines Amerikanischen Traumes gemeinsam mit meiner Freundin erleben zu dürfen. Und es war nicht ganz einfach, nach ihrer Abreise wieder alleine am JFK zu stehen, vor mir das weite Amerika und bei mir nichts als ein klappriger Subaru, der mich in den kommenden Wochen noch einmal quer durchs Land bringen soll.

Gelegen kam da mein nächster Besucher: the one and only Roman, mein fast schon „langjähriger“ WG-Mitbewohner, All-In-Drink-Mixer, Diskussionspartner, technischer Berater, Squash-Gegner, Chor-Nachbar und Jogging-Motivator. Roman und ich nahmen uns die Backstreets of New York vor und checkten im Pointe Plaza im Stadtteil Williamsburg ein, der vom Tourismus erst langsam entdeckt und momentan noch grossmehrheitlich von orthodoxen Juden bewohnt wird. Die Schulbusse und Einkaufsläden sind auf Hebräisch angeschrieben, die Milch im Kühlschrank der Hotel-Küche ist Kosher und der Service im Pointe Plaza einsame Klasse. Der kleine Hotellier am Pointe Plaza-Tresen gab uns zum Anfang gleich einmal ein Gratis-Upgrade: vom Zweierzimmer zur Luxus-Suite. Wir checkten ein und staunten nicht schlecht über den rund vier Meter hohen Riesenraum mit Flachbildschirm, grosszügiger Küche und einer massiven Fensterfront. Dass der Internetanschluss in unserem Zimmer nicht funktionierte, tat unserem jüdischen Gastgeber so leid, dass er umgehend einen Spezialisten kommen liess, der sich dem Problem annahm. Für die Zwischenzeit erhielten wir eine zweite Suite mit funktionierendem Internet-Anschluss. Das tägliche Frühstück mit einer kleinen Auswahl an Yoghurts, frischen Früchten, Kellogs Flöckli, Bagels, Toastbroten, Cookies und Teesorten war nicht minder begeisternd. Das Pointe Plaza ist ein wahrer Geheimtipp für New York-Reisende, da geben wir unser Wort drauf.

Eindrücke aus Williamsburg…

  

1) Unter der Williamsburg Bridge (kurz „Willy B“) haben sich in früheren Jahrhunderten tausende von Einwanderern aus der ganzen Welt angesiedelt und sorgten für die noch heute kulturell meist-durchmischte Bevölkerung eines einzelnen Stadtteils. 2) Im Greenwich Village trafen wir in einer Seitenstrasse auf Zach Galifianakis, den „Hangover“-Schauspieler, der eine Szene für die Serie „Bored to Death“ drehte. 3) An den Chelsea Piers ist ein hübsch mitanzusehnder architektonischer Wettbewerb im Gang…

  

Rooftop-Bars gehören zu New York wie die Dambach-Türme zur Villmerger Skyline. In meinen elf New Yorker Tagen habe ich drei davon besucht: „230 5th“ (danke Claudia Galliker!), „Le Bain“ und „Mad46“. Cocktail-Slurping auf New Yorks upper decks macht Spass, vor allem beim momentanen Dollar-Kurs…

  

Am letzten Tag unseres New York-Aufenthalts schauten wir beim „Ground Zero Museum Workshop“ in Chelsea vorbei. Ein sympathisches und anregendes kleines Museum mit Bildern und Artefakten der Anschläge auf das World Trade Center. Besonders beeindruckend ist die Uhr, die der Fotograf Marlon Suson in einem der eingestürzten Räume des WTCs fand. Sie blieb um 10.02.14 Uhr stehen, genau in jener Sekunde, in dem der zweite Turm in sich zusammenbrach…

  

This is it for now. Wir melden uns bald mit Berichten über einen Ort, an dem man sich so klein fühlt wie nirgends sonst und der – wie wir feststellten – äusserst inspirierend auf uns wirkt…

A bientôt…

Veröffentlicht unter New York | 1 Kommentar

Up The Coast And Down With Them

Frische Rosen hängen vom stählernen Zaun, den die Sicherheitsbehörden um die laute Baustelle auf dem Ground Zero aufzogen. Daneben haben Menschen Briefe an die Drahtmaschen geheftet, adressiert an ihre Verwandten und Freunde, die am 11. September 2001 bei den Angriffen auf das World Trade Center ihr Leben liessen. Seit heute aber hängen da nicht nur mehr Rosen und Briefe. Zeitungsartikel und Frontseiten wurden an den Zaun gekleistert. Artikel über die Erschiessung von Osama Bin Ladin. „Rott In Hell“, „How We Got Him“ oder „Victorious Seals Kill Osama“ steht da in fetten Lettern geschrieben. Und während hunderte von Arbeitern hinter den Zäunen am Freedom Tower arbeiten, der dereinst ein Museum zum Gedenken an die Opfer des Elften Septembers beheimaten soll, breitet sich der still hingekleisterte Hass langsam über die Zäune aus, lässt die Rosen und Briefe erblassen. Wut macht sich breit, Siegesgewissheit und Stolz. Es war ein wahrlich wirrer Anblick, heute, zwei Tage nach der Erschiessung Bin Ladins am Ground Zero zu stehen und live mitanzuschauen, wie Amerika auf die Beseitigung des Top-Terroristen reagiert.

Doch, am Ground Zero sind wir noch gar nicht. Wir sind rund 1500 Meilen südlich, in den dichten Tropen-Wäldern Georgia’s, inmitten von Mückenschwärmen, Lianen, wilden Pferden und moosbehangenen Eichen. Vom südlichen Georgia nach NYC: hop on and enjoy the ride…

Wer an Georgia denkt, dem kommt – wenn überhaupt etwas – wohl gerade mal Ray Charles mit seinem Ohrwurm „Georgia on my Mind“ oder eine protzige Plantagen-Villa in den Sinn. Dass Georgia aber wunderschöne subtropische Wälder, kilometerlange Strände oder von Klapperschlangen „eroberte“ Schlossruinen aus dem 19ten Jahrhundert bietet, das wissen die wenigsten. Nun, wir wissen das jetzt, dank unserem dreitägigen Abstecher auf die Cumberland Island, ein der Georgia-Küste vorgelagerter Nationalpark, den man nur per Fähre und nur mit einer Voraus-Reservation erreicht. Wir campierten unter dem schattigen Blätterdach der riesigen „Kletter-Eichen“, übten uns an den menschenleeren Weltklass-Stränden im Bodysurfen, wurden von einem Waschbären unseres Apfelkuchens beraubt, sahen wilde Pferde, die im Abendlicht dem Meer entlang trabten, kämpften uns mit geliehenen Fahrrädern über die sandigen Pfade der Insel und genossen die entspannende Ruhe, die über der wunderschönen Insel liegt…

  
  

Auf Reisen mit einem „diplomierten“ Historiker kommt man nicht drumrum, auch mal in verschlafenen Nestern Halt zu machen, die ausser Civil War-Vergangenheit und alten Häuserfassaden nicht allzuviel zu bieten haben. Charleston, wenn man ganz ehrlich ist, ist eines jener Nester, das sich für die Touristen hübsch in kriegerische Robe schmeisst und einem seine Sklavenhandel- und Bürgerkriegs-Vergangenheit in mässig guten Museen auftischt. Wir gönnten uns den Spass, liessen uns durch die Aiken-Rhett Villa (Stadtresidenz des Sklavenhalters Governor Aiken) führen, schauten uns auf einer Hafenrundfahrt Fort Sumter (wo vor genau 150 Jahren die ersten Schüsse des amerikanischen Bürgerkriegs fielen) an, spazierten den alten Herrenhäusern an der Rainbow Row entlang, beschmutzten uns im „Sticky Fingers BBQ Restaurant“ die Hände und warfen einen Blick in jene Markthallen der Stadt, wo bis Ende des 19ten Jahrhunderst Sklaven feilgeboten und verkauft wurden. Besonders spannend war unser Ausflug auf die Boone-Hall Plantage ausserhalb der Stadt, die zu den grössten sklavenhaltenden Plantagen der USA zählte und heute auf spannenden Führungen zur Sklavenkultur, durch das mächtige Herrenhaus oder durch die weiten Felder des Ackerlandes erkundet werden kann…

1) Die Aiken-Rhett Villa mit ihren grauen, vorgelagerten Sklavenquartieren, 3) der ehemalige Sklavenmarkt von Charleston, 7-9) die Boone-Hall Plantage, auf der bis zu 900 Sklaven harte Feldarbeit verrichten mussten. Michelle Obama’s Urgrossvater arbeitete als Sklave auf einer benachbarten Plantage…

  
    

Der Osterhase schaffte es bis in unser schmuddliges Rodeway Inn-Zimmer. Zum „Oschter-Zmorge“ gabs guten Kaffee und American-sized Bagels…

  

Charleston war unser vorläufig letzter Halt an der Atlantik-Küste. Wir verliessen die einst so kriegerische Kleinstadt und machten uns auf nach Spartanburg im nordwestlichen Ecken South Carolinas. Von Spartanburg steht garantiert nichts in den Reiseführern. Die Kleinstadt hat neben der üblichen „Crust“ von Fastfood-Restaurants, Billighotel-Ketten und XXL-Supermarkets (mehr zur „Crust“-Kultur, den „Crustcrawlers“ und unseren „Crustcrawling“-Erfahrungen folgt…) nicht viel zu bieten. Doch in der Crust, da gab es einen Discount Tire Shop, der uns gratis den vorderen linken Reifen reparierte, der kurz zuvor von einer langen, rostigen Schraube durchstochen wurde und zu platzen drohte. Hoffen wir, die Rostschraube bringe dem Teufels-Gefährt Glück. Ich habe nämlich kein Lust, weiter Reparaturgeld in den klappernden Subaru zu pumpen…

Kurz nach Spartanburg bogen wir auf den Blue Ridge Parkway ein, der auf knapp 500 Meilen durch die Carolinas und die Virginias hinauf zum Shenandoe National Park führt. Waldige Hügel prägen die Landschaft, die wir auf unserem kurvigen Roadtrip durchstreiften. Neben allerlei White Tail Hirschen, Schildkröten und Tausendfüsslern (einer von ihnen hat mich auf eine Idee gebracht, der Grundstein für meinen nächsten grossen Traum ist sozusagen gelegt…) bot uns die Fahrt entlang dem Blue Ridge Parkway dramatische Himmels-Szenen, Wolkentürme und beängstigende Stürme, die unser Zelt des Nachts aufs äusserste herausforderten und uns am darauffolgenden Morgen beruhigt aufatmen liessen. Der Parkranger am Camping-Eingang erzählte uns von den schweren Schäden, die die Tornados im Shenandoe-Valley in der Nacht angerichtet hatten. Wir konnten wohl von Glück reden, dass unser Zeltplatz in den Shenandoe Wäldern nur vom Rand der Tornados durchgeschüttelt wurde und vom berüchtigen „eye of the storm“ verschont blieb…

  
  
  
  
  

Auf einem Abstecher schauten wir uns die „Natural Bridge“ an, ein angeblicherweise von einem Fluss in die Felswand gemeisseltes Riesen-Loch, das von lokalen Indianer-Stämmen „verwaltet“ wird und für knapp 20 Dollar pro Person durchwandert werden darf. Die Indianer haben da laut unserer Überzeugung massiv geschummelt. Ihre Geschichte vom kleinen Fluss, der über Jahrtausende in beständiger Kleinstarbeit ein Loch in den Felsen frass, glauben wir jedenfalls nicht. Das Riesenloch im Fels sieht ganz und gar nicht so aus wie die Natural Bridges, die man sich etwa in Arizona oder Utah anschauen kann. Viel mehr scheint es, als ob da von Menschenhand nachgehofen worden wäre. Und, dass – wie die Indianer behaupten – George Washington als Präsident der USA die Felswand unter der Natural Bridge raufgeklettert sei, um seine Initialen in Stein zu meisseln, das kaufen wir den abzockenden Eingeborenen genau so wenig ab. Ha, uns habt ihr mit euren Geschichten nicht gekriegt!

  

Lohnenswert war der Abstecher zu den Luray Caverns, die uns mit märchenhaften Stalaktiten und Stalagmiten (ich erinnere mich an eine Tageswanderung durch das Muotataler Höllloch, auf die mich mein Götti vor einigen Jahren mitnahm und auf der uns der Guide eine nicht ganz jugendfreie Eselsbrücke zu den beiden Kalk-Formationen mit auf den Weg gab…) uns unterirdischen „Spiegel-Seen“ begeisterten. Die Luray Caverns lohnen sich, trotz den mürrischen Guides, die einen im Schnellzugstempo durch die Höhlen hetzen…

  

Nach einer stürmischen Nacht im Shenandoe National Park trippten wir gespannt in die Landeshauptstadt. Washington D.C.; geballte Macht, Politische Extravaganz und Obamania, das haben wir gesucht und gefunden. Geballte Macht strahlt das Weisse Haus aus, das mitten im Herzen der Stadt liegt und von demonstrierenden Syrern, Ivoren, Anti-Atomwaffen-Aktivisten und fotografierenden Touristen umgeben ist. Hätten wir gewusst, dass Obama, als wir vor seiner Haustür standen, entschied, Osama Bin Ladin per Erschiessungskommando aus der Welt zu schaffen; es wäre fast ein historischer Moment gewesen. Doch, davon wussten wir nichts, und so standen wir ahnungslos vor den hohen Zäunen, warfen aus der Ferne einen Blick auf Michelle’s Gemüsegarten und wandten uns etwas demütig wieder ab von der schönen Stadt-Villa, in der die Fäden dieser Welt gezogen und die Stricke geschnürt werden. Politische Extravaganz und historische Selbstüberschätzung strahlt die National Mall aus, der etwa zwei Kilometer lange und 200 Meter breite Grasstreifen, der sich mitten durch das urbane Zentrum zieht und mit zahlreichen Kriegsdenkmälern und Mega-Museen gespickt ist. Kriege scheinen dem Selbstverständnis der Amerikaner besonders gut zu tun. Überall wird man an die glorreichen Taten der Vereinigten Staaten in den Kriegen dieser Welt erinnert. Zuweilen wirkt das fast schon arrogant. Dann etwa, wenn das Kriegsdenkmal zum „World War II“ von dicken Säulen umgeben ist, die für die 50 Staaten der USA stehen. Stolz weht die amerikanische Flagge über dem Denkmal. World War II, 1941-1945 steht in Stein gemeisselt geschrieben, und im Schatten der riesigen US-Säulen plätschern leise zwei kleine Springbrunnen, auf denen „Western Europe“ und „Central Europe“ zu lesen ist. Nur dass man nicht vergisst, dass diese Regionen neben der fantastisch agierenden amerikanischen Übermacht im Zweiten Weltkrieg ja auch eine winzig kleine Rolle spielten.
Ein paar Stunden später zauberte uns ein älteres Schweizer Reise-Paar, das wie wir vom Turm des alten Post Office herab auf die geballte Kriegsdenkmal-Macht der National Mall blickte, ein breites Grinsen aufs Gesicht. Die beiden Schweizer, kaum auf dem Turm angekommen, schauten kurz auf die National Mall runter, wandten sich wieder ab und meinten: „Huere dräckigi Schiibe of dem Torm, he?!“ Ein Kommentar, der angesichts des in Stein gemeisselten amerikanischen Kriegs-Fanatismus treffender kaum hätte sein können…

1) Washington D.C.’s Autonummern enthüllen einen interessanten Aspekt der amerikanischen Hauptstadt: der Slogan „Taxation without Representation“ deutet auf den Umstand hin, dass die Hauptstädtler zwar wie alle Amerikaner Steuern zahlen, aber unverständlicherweise kein Recht auf Repräsentanten im Nationalen Parlament haben und bei den Präsidentschaftswahlen nicht teilnehmen dürfen. 6) Das wohl weltberühmte Lincoln Memorial, in dem der 1865 ermordete amerikanische Übermensch gefeiert wird. 9) Das Memorial zum Zweiten Weltkrieg mit dem „Western Europe“ Springbrunnen im Schatten der mächtigen US-Säulen. 11) Michelle Obama’s Gemüsegarten…

  
  
  
  

Pennsylvania, die einstige Quaker-Kolonie, die vor rund dreihundert Jahren Siedler mit dem Versprechen lockte, alle religiösen Vorstellungen zu tolerieren, ragt mit seiner südöstlichen Spitze ins weite Land zwischen D.C. und New York City. Eine der religiösen Minderheiten, die Ende des 18. Jahrhunderts den weiten Weg aus dem alten Europa in die neue Welt auf sich nahm, um in Pennsylvania ein neues Leben als Farmer zu beginnen, waren die Anabaptisten unter der Führung von Jakob Ammann. Vertrieben wurden sie nicht etwa von den Franzosen oder den Engländern, sondern von den Eidgenossen, die sich nicht länger mit den frevelhaften Ketzern abgeben wollten und die Anabaptisten aus dem Appenzell und dem Berner Oberland rausschmissen. In Pennsylvania angekommen formierten sich die Anabaptisten neu, nannten sich „Amish People“ und leben heute noch fast genau gleich wie damals. Dies, jedenfalls, behaupten sie gerne von sich, die Amish, die in ihren altmodischen Kleidern hoch zu Ross oder in eleganten Kutschen durchs ländliche Dutch Country in Pennsylvania trippen, in Familien mit durchschnittlich 7-12 Kindern auf grossen Bauernhöfen leben und sich einigermassen erfolgreich von der Aussenwelt abschirmen. Unser zweitägiger Besuch bei den Amish liess in uns jedoch Zweifel an der angeblich so asketisch und einfach lebenden Gesellschaft aufkommen. Es stimmt zwar, dass die Amish in eigenen Schulen ausgebildet werden, sich beim „Rumspringa“ (eine Art Auszeit, in der alles erlaubt ist und keine religiösen oder sonstigen Vorschriften berücksichtigt werden müssen) selbst auf die Probe stellen, um danach meist freiwillig in den strengen Schoss der eigenen Gemeinschaft zurückzukehren und dass sie noch immer einen für uns kaum verständlichen mitteldeutschen Dialekt sprechen. Dass die Amish aber, wie wir dachten, auf Strom, fliessendes Wasser oder den Luxus von motorisierten Fahrzeugen verzichten, entspricht nicht ganz der Wahrheit. Zwar lehnen sie Strom- oder Wasserleitungen zu ihren Höfen grundsätzlich ab, da diese Leitungen eine unerwünschte Verbindung mit der Aussenwelt herstellen würden. Auf Elektrizität oder warme Duschen verzichten sie aber keinesfalls. Mit allerlei benzinbetriebenen Generatoren und umgebauten Geräten ist es ihnen möglich, den fast genau gleichen Standard zu leben wie die modernen Amerikaner. Die Amish haben Kühlschränke, elektrisches Licht an ihren Kutschen, Gasherde, Stromlampen und Solarzellen auf ihren Dächern. Zudem – wir haben sie mehrmals dabei „erwischt“ – nehmen sie es offenbar nicht ganz so genau mit dem Vorsatz, keine Autos zu benutzen. Einen Amish haben wir sogar dabei beobachtet, wie er mit seinem Pick-Up Truck und einem riesigen Benzin-Anhänger an einer Tankstelle Halt machte, um Diesel für seine Home-Generatoren einzukaufen. Gott vergelt’s, wir mögens ihnen ja gönnen…

1-3) Amish-Kutschen sieht man im Dutch Country zu Hauf. Der Staat schrieb den Amish vor, ihre Kutschen mit elektrischen Warnlichtern auszustatten, aus Sicherheitsgründen… 4-6) Schon im Kindesalter sind die Amish traditionell eingekleidet. Sie tragen Hosenträger, weil Gürtel sie an die Folter der Eidgenossen erinnern. Männer rasieren sich ihren Bart nach der Hochzeit nicht mehr. Der Schnauz wird aber täglich glattgestutzt, weil Schnäuze sie an die uniformierten Anabaptisten-Jäger Europa’s erinnern. Den Frauen ist es nicht erlaubt, sich die Haare zu schneiden…

  
  

Wir grüssen herzlich vom regnerischen Times Square, dem momentan wohl gefährlichsten Ort auf Erden.

Annina & Samuel

Veröffentlicht unter Blue Ridge Parkway, Carolinas, New York, Pennsylvania, Virginias | 1 Kommentar

Florida Wild

Eigentlich trinke ich meinen Kaffee immer ohne Zucker. Doch als ich mich heute kurz vor Mitternacht hinsetzte, um euch über die Geschehnisse inside USA upzudaten, konnte ich den Sugar-Säckchen neben mir auf dem Hotel-Tischchen nicht widerstehen. Ich kippte mir reichlich Zucker und gesüsstes Milchpulver in meinen Pappbecher-Kaffee und schüttete mir die ganze klebrig-heisse Brühe noch vor dem ersten Schluck über meine frisch gewaschenen Hosen. Anyway, ich sitze wieder hier, ohne Kaffee, dafür frisch geduscht und gerade noch so wach, damit ich die klemmende Leertaste so fest „hauen“ kann, dass sie für die nötige Distanz zwischen den getippten Begriffen sorgt.

Der hohe Besuch, den ich im letzten Eintrag angekündet habe, ist am 8. April wohlbehalten in Miami angekommen. Es ist ein schönes Gefühl, solch hohen Besuch nach acht langen Monaten wieder zu sehen, sich gegenseitig austauschen zu können und das Abenteuer USA für eine Weile gemeinsam anzupacken. Annina und ich haben uns einen légèren Start gegönnt und die ersten Tage unserer gemeinsamen Reise jet-lag-ausschlafend (Jet Lags kann man auch ausschlafen, wenn man sie gar nicht hat), badend und essend in und um unsere Gemächer im Whitelaw Hotel inmitten von Miami Beach verbracht. Wir hätten ohnehin nicht in die aufgestylte Freak-Show entlang den Stränden von Miami gepasst, wo sich allerhand menschliche Extravaganz versammelt und sich gegenseitig demonstriert, wie unglaublich betörend und unwiderstehlich man ist. Einen Gang zurückschalten, ausspannen, sich auf die gemeinsame Reise freuen; das war „the thing to do“ für zwei verliebte Abenteurer im Body-Kult dominierten South Beach.

Zweite Station unseres East-Coast Roadtrips waren die Florida Keys; eine in den Golf von Mexiko herausragende Inselkette, übersät mit wunderbaren Stränden, Mangroven-Wäldern und Camping-Möglichkeiten. Wir genossen die warmen Ströme rund um die Keys, paddelten in gemieteten Kayaks und mit veralteten Karten durch die Mangroven-Labyrinthe von Marathon (und fanden nur dank einer zufällig an uns vorbeirudernden Gruppe Kayaker wieder aus dem Mangroven-Dickicht heraus) und wehrten uns so gut es ging gegen die tausenden Mücken, die uns des Nachts wundstachen. Wir genossen die friedlichen Beaches, unseren Campingplatz mit eigenem Meeranschluss (und einer Autobahnbrücke, die uns die Sicht auf den ansonsten perfekten Sonnenuntergang verdeckte) und unsere Begegnungen mit den Wildtieren der Keys: wir sahen hundsgrosse Key Deer (eine Art Mini-Hirsch), Waschbären, die sich an unseren nicht rechtzeitig abgewaschenen Esstöpfen labten und einen ziemlich beeindruckenden schwarzen Skorpion. Letzerer tauchte unverhofft aus unserem Campingfeuer auf und versuchte verzweifelt, der Hitze zu entkommen. Wir hatten Mitleid mit dem nicht gerade ungefährlichen Spinnentier und schmissen es samt glühendem Holzscheit weit weg ins Gestrüpp…

    

Von den Keys aus fuhren wir nordwärts Richtung Everglades National Park, wo wir mitten in der Nacht und ohne Vorwarnung auf dem Trail Winds Campground ankamen. Der Nacht-Wächter (ein dicker Amerikaner mit eigenem Golfchärreli, das seine Masse giebschend vor unserem Subaru her durch den nächtlichen Campingplatz hievte) zeigte uns die verfügbaren Spots. Von jenem direkt am See riet er uns ab: „because there’s an alligator in there, it’s relatively new and not used to humans yet. You never know, it might just creep into your tent at night.“ Vom zweiten Spot am Waldrand riet er uns ebenfalls ab, wegen dem Panther, den sie in den letzten Tagen mehrmals in jener Region des Campingplatzes gesichtet hätten. Und so landeten wir auf Spot Nummer drei, unter Bananen-Stauden und Tannenbäumen, weit weg von wildern Alligatoren und Panthern, dafür unmittelbar neben Russel, einem äusserst gesprächigen ü50 Solo-Camper, der uns keine Minute nach unserer Ankunft eine Kerze schenkte und uns während den folgenden vier Stunden mit einem einzigen kurzen Unterbruch aus seinem Leben als U-Boot-Bauer, Hobby-Taucher, Ex-Miliz, Vater, Alligatoren-Jäger, Emu-Besitzer, Drogenschmuggler und Waffennarr (laut eigenen Angaben besitzt er 23 Schiesswaffen, von denen er auch einige in seinem roten Ford Pick-Up mitführte) erzählte. Russell ist überzeugt davon, dass er ein Nachkomme von langhaarigen Riesen ist, die Nordamerika lange vor der Ankunft der Indianer-Stämme besiedelten. Er ist gerade dabei, seinen Wohnsitz von Florida nach Michigan zu verlegen, weil er glaubt, dass sich die Erde am 21. 12. 2012 ruckartig um 90 Grad drehen und die gesamte Küstenregion der USA verschluckt werden wird.  Er hat uns vor den Schwarzen, den Latinos und den Chinesen gewarnt und uns von seiner Freundschaft mit den Campingplatzbesitzern erzählt: Der Trail Winds Campground wird von drei Brüdern geführt, die laut Russels Angaben alle wegen Mithilfe beim organisierten Drogenschmuggel mehrjährige Haftstrafen absassen, bevor sie sich entschieden, dem schmutzigen Geschäft den Rücken zu kehren und einen mehr als schmutzigen Campingplatz in den Everglades zu eröffnen. Russel erzählte uns von den weiten Hasch-Feldern, die es in den Everglades bis heute gäbe und die von schwerbewaffneten Privatarmeen streng bewacht würden. Er erzählte uns vom kleinen Privatzoo der drei Camping-Brüder, in dem diese allerlei Tiere zur Schau stellten, die sie eigenhändig in den Everglades gefangen hätten. Russel war spannend, unterhaltsam und anstrengend. Nicht ganz unglücklich waren wir, als Russel mitten im Abend einen Anruf erhielt und uns erzählte, er müsse morgen früh auschecken und seinen Sohn in Miami besuchen gehen…

Eindrücke aus den Everglades: 3) self-made Pancakes auf dem Lagerfeuer, Libellen, ein Fischadler (7), ein „Everglades Geier“ (8, wirklicher Name ist auch der Redaktion unbekannt) und eine nicht genauer bestimmte Schlange, die uns aus dem dichten Laubboden heraus anstarrte…

  
  
  

Die Mückenschwärme auf dem Campground, die Riesenkakerlaken im „Bathhouse“ und die kurligen Käuze auf den benachbarten Camp-Sites waren zwar durchaus schon wild genug. Wir liessen es uns aber nicht nehmen, dem Tipp von Annina’s Dumont-Reiseführer zu folgen, uns im Shark Valley zwei rostige Velos zu mieten und entlang dem Shark Valley River Ausschau nach Alligatoren, den eigentlichen Stars der Everglades, zu halten.

Unser Velo-Trip war Alligatoren-technisch ein voller Erfolg. Wir sahen riesige Exemplare der Urzeit-Echsen, die sich am Rand des Flusses sonnten, neu geborene Gater-Babys, die sich glucksend und schwadernd nach Schutz und Halt umschauten und einen böse-blickenden drei-Meter Gator, der genüsslich eine der zierlichen Gelbkopfschildkröten zermanschte: Natur in all ihrer Schönheit und Brutalität…

  
  
  

Achtung, ab hier wirds grausam genüsslich!

  
  
  

Nachdem uns Russel so ausführlich vom abenteuerlichen Treiben der drei Campingplatz-Brüder erzählte, schauten wir vor dem Auschecken in deren düsteren Privatzoo vorbei; der letzte Ort, an dem man als Wildtier enden möchte. Alligatoren, Schlangen, Echsen und Vögel werden auf viel zu engem Raum und in stickigen „Terrarien“ gehalten. Zoodirektor ist Jim, der uns in strengem Ton und mit schwer nachvollziehbarem Humor durch die düstere Terrarien-Welt führte, uns Schlangen, Spinnen, Alligatoren und Vögel in die Hände drückte und keinen Zweifel daran liess, dass er nicht viel Ahnung davon hat, wie man mit all den Tieren korrekterweise umzugehen hätte. Wir machten gute Miene zum bösen Spiel, kauften im Zoo-Shop ein paar ausgefallene Gator-Souvenirs und suchten schnellstmöglich das Weite. Einiges erfreulicher war unser Besuch in der „Big Cypress Gallery“, einer kleinen Foto-Gallerie von Clyde Butcher, dessen Landschafts-Bilder mich schon im Annenberg Space for Photography in Los Angeles begeisterten. Als Lückenfüller dient das kleinste Post Office der USA, an dem wir auf dem Weg an die Golf-Küste vorbeikamen…

  

Nach den wilden Zeiten in den Everglades zogen wir uns für ein paar gemütliche Tage auf Sanibel Island zurück. Die weltweit als geniale Muschel-Fundstelle bekannte Insel hat uns mit ihren Temperaturen in den hohen 90ern (um die 35 Grad Celsius) gelähmt und mit ihren endlosen Muschelstränden erfreut. Man achte auf unser selbstgemachtes Lunch-Menu. Daran dürften sich die Amerikaner getrost ein Vorbild nehmen…

  
  

Auf Annina’s Wunsch hin gönnten wir uns zum Abschluss unseres Sanibel Island-Tripps eine Inselrundfahrt mit einem motorisierten Schnellboot. Mit Rockmusik in den Ohren, starkem Wind in den Haaren und Meerwasser-Spritzern im Gesicht brausten wir um das Inselparadies, genossen das herrliche Wetter und staunten nicht schlecht über die Grossen Tümmler, die sich in den Bugwellen unseres Schnellbootes einfanden und sich scheinbar endlos lange dort „tümmelten“. Florida ist ganz schön wild. Daran zweifle ich nach den ersten Tagen in diesem Riesenstaat nicht mehr…

  
  
  

In weniger als drei Wochen sollten wir – laut Plan – in New York City am Flughafen stehen. Viel länger wollten wir uns daher nicht im South Florida High-Life sonnen, sondern machten uns gestern im umgeräumten Subaru (Annina’s Pack-Konzept hat inzwischen sogar mich überzeugt…) auf Richtung Norden. Auf einen Tipp von Russel hin machten wir Halt bei den Alexander Springs im Ocala National Forest in Zentral Florida. 20 Millionen Gallonen Frischwasser sprudeln jeden Tag aus den Höhlen am Grund des glasklaren Quell-Sees. Ein fantastischer Ort um zu Schwimmen, Schnorcheln und Chillen…

  
  

Unser heutiger Programmpunkt war das Atlantik-Städtchen Saint Augustine, die älteste nicht-indianische Ortschaft der USA. Ausser einem mässig beeindruckenden Fort aus dem 17. Jahrhundert stehen im „historic town“ kaum noch Bauten, die an alte Zeiten erinnern. Die Gassen sind vollgestopft mit Souvenir-Shops, Imbiss-Ständen und lauten Strassenmusikanten. Ein richtiges Altstadt-Feeling kommt nicht auf. Das „Oldest House of America“ (Bild 3) wurde 1996 total-renoviert und wirkte auf uns Europäer mit seinen knapp dreihundert Jährchen wenig beeindruckend. Witzigster Ort im Städtchen ist wohl das Holz-Schulhaus aus dem 19ten Jahrhundert, das mit schweren Eisenketten im Boden verankert ist, weil der Holzbau den Atlantik-Stürmen offenbar nicht immer standhalten konnte und bei starkem Wind ab und dann davonwehte…

  

Florida ist passé, wir sind heute Abend in St. Marys, Georgia angekommen. Morgen fahren wir für zwei Tage auf die Cumberland Islands National Seashore, eine der wenigen richtig wilden Regionen an der Ost-Küste. Wir freuen uns!

Macheds guet ond bes gly,

Annina & Samuel

Veröffentlicht unter Florida, Georgia | 2 Kommentare

187 Days

WWJC, eine dieser Abkürzungen, denen man heute überall begegnet und die das Lesen und Leben so manchmal eher verkomplizieren als verschnellen. WWJC, wer wagts? Nun, zugegeben, dieses Exemplar gehört zu den schwierigeren, die ich kenne. Ich kann mich daran erinnern, dass ich in meiner Bez-Deutsch-Abschlussprüfung zwei Abkürzungen „interpretieren“ musste. Eine davon war „gut N8“. Das war vor acht Jahren. Heute ist die Sache mit den Abkürzungen komplizierter. WWJC? Nicht? Nun gut, WWJC steht für „What Would Jesus Cut“. So nennt sich eine neu formierte und in den letzten Tagen stark gewachsene politische Bewegung in den USA, die mit an sich ganz vernünftigen Vorschlägen zur Budget-Debatte im Land an die Öffentlichkeit tritt. Zu den Hintergründen: im Senat und dem Repräsentantenhaus diskutieren amerikanische Politiker seit Tagen über das aktuelle Budget. Während die Demokraten befürchten, dass allzu grosse Einsparungen Bildungsprojekte, die Krankenversorgung der Bevölkerung und die medizinische Forschung gefährden könnten, wollen die Republikaner die wirtschaftlich angeschlagene Nation mit einem radikalen Sparkurs gesund-päppeln. Eine Einigung ist trotz grossen Zugeständnissen von Seiten der Demokraten noch nicht in Sicht. Wenn die Landespolitiker bis Freitagabend keinen Kompromiss finden, kommt es zum sogenannten „government shutdown“. Landesweit würden zahlreiche vom Staat betriebene Institutionen vorübergehen schliessen. Nationalparks wären für die Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich, man könnte keine neuen Pässe beantragen oder sich nicht für die Autoprüfung einschreiben. Für einen modernen Industriestaat wie die USA wäre das äusserst peinlich. So, what would Jesus do? Wahrscheinlich würde er das Problem bei den Wurzeln packen und das auf Konfrontation und gegenseitige Schuldzuweisungen ausgerichtete amerikanische Zwei-Parteien-System aufbrechen. Er würde die republikanisch-demokratischen Streitereien beenden und die blockierende Tea Party über Bord werfen (das war jetzt gerade sehr gebildet, historisch betrachtet…). Er würde ein kompromissbereites Parlament aus dem Boden stampfen und die Polit-Garde auf Konsens trimmen. Das würde Jesus tun. Tut er leider aber nicht. Nun, wenigstens sorgt er für eine unterhaltsame Sidestory im lächerlichen Getue der amerikanischen Polit-Elite.

Eine durch das drohende Sparprogramm gefährdete Institution ist das American Public Media-Netzwerk, zu dem auch die National Public Radio-Sendungen (NPR) gehören. NPR ist ein treuer Begleiter auf meinem Roadtrip. Mit objektiven und spannenden Hintergrund-Sendungen zu allen möglichen Themen bietet NPR eine hörenswerte Alternative zu all den radikal-evangelischen Radiosendungen, die man im ganzen Land in grosser Zahl empfangen kann und die mit ihren verschwörerischen Ansichten zu Gott und der Welt mindestens bei mir immer wieder für kräftiges Kopfschütteln sorgen. NPR wurde in den letzten zwei Wochen zu meinem „Roadtrip-Soundtrack“. Ich bin weit herumgekommen in diesen Wochen, habe grosse Distanzen zurückgelegt und fühlte mich teilweise etwas gestresst von all den Terminen, die ich mir selbst aufbrummte. Nach dem Swissness-Weekend in Atlanta mit meinen beiden fellow Swiss-Exchangestudents fuhr ich Richtung Memphis, Tennessee. Auf dem Weg dorthin machte ich Halt in einem Lost&Found Shop, der den Inhalt von nicht abgeholtem Gepäck am Atlanta Airport zu Spottpreisen zum Verkauf anbietet. Für 9 Dollar habe ich mir ein paar T-Shirts und eine Jacke gekauft und trippte danach weiter zum Little River Canyon National Monument. Der nebelverhangene Canyon im nordöstlichsten Ecken Alabamas bietet etwas ganz Spezielles: den inoffiziell steilsten Wanderweg östlich des Mississippi. Den liess ich mir nicht entgehen…

Memphis, mein nächster Halt, „is all about the music“. Elvis Presley hat hier gelebt, gerockt und gerollt. Gibson baut hier seine weltberühmten Elektro-Gitarren und Johnny Cash hat in der emsigen Stadt am Ufer des Mississippi die meisten seiner Alben eingespielt. Noch heute lebt Memphis von den „dead stars“, deren Rum und Sound auch Jahrzehnte nach ihrem Tod durch die Backstein-gesäumten Strassen dröhnt, aus den verrauchten Clubs schallt und von zig Strassenmusikern live aufgeführt wird. Memphis ist trotz all diesem Lärm eigentlich eine gemütliche Stadt mit einer spannenden und zugleich tragischen Geschichte. Spannend deshalb, weil die Vergangenheit als Handelsstadt, die einstigen Golden Years als Heimatort vom Übermenschen Elvis und die moderne Realität als zuweilen arm und verlassen scheinende Metropole überall ineinander hineinspielen. Unmittelbar neben der Beale Street, dem schallenden Touristen-Brennpunkt, ragen verlassene Industriebauten in die Höhe, die ihre Schatten auf die edel wirkenden Villenviertel unten am Ufer des breiten Mississippi werfen. Tragisch unter anderem deshalb, weil der Bürgerrechts-Pionier Martin Luther King hier erschossen wurde und weil Rassismus noch immer zur Tagesordnung gehört. Das zumindest hat mir Jimmy erzählt; Jimmy, die tragische Hauptfigur meiner Memphis-Tage:

Ich stand vor den verschlossenen Türen der Gibson-Fabrik, etwas enttäuscht darüber, dass ich den Gitarren-Bauern bei ihrer faszinierenden Arbeit nicht über die Schultern schauen konnte. Mit umgehängter Kamera und aufgefaltetem Stadtplan lief ich nicht sehr zielsicher los in jene Richtung, in der nach meiner Auffassung das Sun Studio sein musste; das Sun Studio, in dem Elvis, Johnny Cash und U2 ihre Alben einspiel(t)en und das ich mir gerne von innen angeschaut hätte. „U lookin for something bro?“, wollte ein auffällig grosser Afro-Amerikaner wissen, der mich auf dem Trottoir überholte und unter seiner Kapuze hervor anäugte. Ich konnte mir vorstellen, worauf der Wortwechsel hinauslaufen würde. Doch, was sollte ich tun. „Sun Studio, is this the right direction?“ Er lachte. „No, bro, I’ll show you.“ Ich schaute mich um. Viel war nicht los in der Umgebung. Keine potentielle Gang, keine weiteren Kapuzen-Träger, nichts Auffälliges. „Ok, thanks“, sagte ich und machte gemeinsam mit meinem riesenhaften Begleiter rechts um kehrt. Jimmy, sagte er, und quetschte mir die Hand. Er sei von hier. Alles sei gerade sehr schwierig. Er erzählte von seiner Frau, die mit gebrochenen Rippen im Spital läge, von seinen Töchtern, die zu Hause Probleme machten, von der Miete, die er nicht bezahlen könne. Das hat mich an sich nicht überrascht. Typen wie Jimmy sind leicht zu durchschauen. Ihre Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft sind ungewöhnlich und fast unheimlich. Doch, am Ende der Story kommt fast immer eine Gegenforderung. Und während mir Jimmy im Schnellzugstempo von seiner schwierigen Situation erzählte, versuchte ich abzuschätzen, wie viel er von mir am Ende unseres gemeinsamen Spaziergangs wohl verlangen würde.

Bis zum Sun Studio brauchten wir gut 20 Minuten. Ich hatte Hunger und wollte vor der Studio-Tour irgendwo etwas Essen gehen. „U wana eat something?“, fragte ich Jimmy, der schon zum Finale ansetzen wollte und mir erzählte, er brauche „6.25 for the bus-ticket back home“. „Sua“, meinte Jimmy und begleitete mich in die Imbissbude auf der anderen Strassenseite. Ich kaufte uns ein paar Sandwiches, Softdrinks und Snickers und setzte mich draussen mit Jimmy hin. Er bedankte sich nicht, redete aber zwischen den Bissen weiter über sein schwieriges Leben. „187 days, that’s all I have, bro. Then they send me back in.“ Wohin schicken sie dich denn, fragte ich. „Afghanistan, for the third fuckin‘ time.“ Aus seiner Hosentasche grübelte er ein paar Zettel und Kärtchen hervor und legte sie auf den klebrigen Plastiktisch. Die Afghanistan-Geschichte war offensichtlich wahr. Auf dem „Marschbefehl“ stand in fetten Lettern „Fuck That, Why Me, Why Again!!!“ Zweimal sei er schon da gewesen. „It’s the freakin hell.“ Er sei ein Ranger, springe aus dem Flugzeug direkt in die Kampfzone. Keiner dieser „white soldiers“, die sich die Bürojobs schnappen würden und dafür haufenweise Auszeichnungen erhielten. „I’m doin the real thing, the dangerous stuff, u understand.“ Jimmy wurde ernst. Er wurde laut und wütend. Die Regierung schicke ihn zum dritten Mal in den Krieg, in 187 Tagen. Ein ganzes Jahr lang müsse er bleiben. „I’m not gonna make it, not again, not again.“ Er blickte an die graue Wand neben uns, haute auf den Tisch. Er verstehe das nicht. Wieso würden sie Familienväter dreimal in den Krieg schicken. Wieso nicht einen anderen, wieso ihn. Jimmy stopfte sein Snickers in die Tasche. „I gotta go home now, gotta catch the bus, I need 8 dollars for the bus, can u help me out, bro?“ Ich hatte Mitleid mit Jimmy. 187 Tage blieben ihm, und in diesen Tagen wartete wohl nicht sehr viel Erfreuliches auf ihn. Ich gab ihm die acht Dollar, und fragte mich, wie er sie wohl investieren würde. Vielleicht war das gut so, vielleicht nicht, wer weiss das schon. Ich stand auf, räumte den Tisch und wünschte ihm viel Glück. Jimmy aus Memphis, immerhin hatte er mir den Weg zum Sun Studio gezeigt…

Bilder 1-3: Graceland, Elvis Presley’s legendäre Mansion, in deren Garten der King of Rock n’Roll begraben wurde. / Bilder 4-6: die Beale Street und das nahegelegene Lorraine Hotel, in dem Martin Luther King 1968 erschossen wurde. / Bilder 7-9: das altehrwürdige Sun Studio, in dem Presley, Cash und U2 ihre grössten Hits einspielten.



Von Memphis aus folgte ich dem „Mighty Mississippi“ Richtung Süden. Auf Nebenstrassen trippte ich durch das ländliche Mississippi, die mit Abstand ärmste Region, die ich in den USA bisher gesehen habe. Viele der kleinen Ortschaften, an denen ich vorbeifuhr, wirkten zerfallen, verlassen und arg vernachlässigt. Eingeschlagene Fenster, abbruchreife Schulhäuser (Bild 2) und halb eingestürzte Kirchen (Bild 3) prägten das Ortsbild in fast jedem Dorf. Auf den Strassen sah ich fast ausschliesslich junge Afro-Amerikaner, die der Armut mit gleichgültiger Passivität zu begegnen scheinen und die eintönigen Tage offensichtlich ungenutzt an sich vorbeiziehen lassen. Ich fühlte mich unwohl an diesen Orten, die landschaftlich nichts desto trotz viel zu bieten haben. Der Mississippi, dessen Wasserstand bei meinem Besuch ungewöhnlich hoch war, wie mir eine ältere Dame in der Altstadt von Vicksburg erzählte, kurvt in eleganten Schlaufen durch das dichte Grün der Region. Überall spriessen gelbe und blaue Blumen, Mangroven-artige Bäume ragen aus dem spiegelglatten Wasser und immer wieder verwandeln sich die weiten Felder links und rechts der Strassen in dunkle Sümpfe, in denen schneeweisse Vögel umherwaten. Mein Natur-Highlight war aber der gut drei Meter lange Alligator, den ich bei einem Foto-Stop zufällig entdeckte, und der bei meinem Annäherungsversuch leider sofort „flüchtete“. Erwischt habe ich ihn trotzdem (Bilder 7-9). Ein unglaublich schönes Tier, nicht?



Am Ende des Mississippi, dort wo der breite Strom in den Golf mündet, liegt New Orleans, Home of the Blues und Home of Sara Ormes, meine ehemalige WG-Mitbewohnerin und Klassenkollegin. Sara und ihr Mann Ryan haben mich in ihrer hübschen Wohnung am Stadtrand aufgenommen und mir in vier äusserst unterhaltsamen Tagen „N’ooliins“ gezeigt. Po-Boys (Sandwich mit frittierten Shrimps) an der Bourbon Street, Live Blues im „The Spotted Cat“, Tramfahrten durch den Garden District, ein Besuch im eindrücklichen World War II Museum, ein traditionelles Schweizer Fondue (@ Dave: dini  Moitié-Moitié Meschig hed ehre Dienscht to…;D), lange Film- und Baileys Nächte und ein „Kino-Surfing“-Tag: life is sweet at times…


Eindrücklich war meine Solo-Fahrt durch den „Ninth Ward“, jene Region, die von Hurricane Katrina 2005 am schlimmsten verwüstet und seither nur notbedürftig wieder aufgebaut wurde. Zerfallene Häuser und verdreckte Strassen prägen das Bild. An den zugenagelten Türen hängen amtliche Räumungsnotizen und an den Kreuzungen betteln bemittleidenswerte Obdachlose um Unterstützung. Unheimlich wurde mir mein Ghetto-Ausflug, als ich am Strassenrand einen Rastafari erblickte, der in der rechten Hand eine Maschinenpistole hielt und offenbar über oder auf die Strasse laufen wollte. Umkehren konnte ich nicht mehr, Vollgas geben schien mir keine gute Option. Also hielt ich an und winkte ihm möglichst harmlos und freundlich zu. Er winkte mit seiner Waffe zurück, ging über die Strasse und blieb stehen. Ich fuhr an ihm vorbei und um die nächste Ecke. Alles in Allem ist es erstaunlich, in welch schlechtem Zustand dieser relativ grosse Stadtteil von New Orleans fast sechs Jahre nach Katrina noch immer ist. Vor dem Hintergrund der aktuellen Budget-Debatte müssen sich die Bewohner der „Ninth Ward“ wohl weiterhin gedulden. Geld fürs landeseigene Ghetto bleibt in den USA auch dieses Jahr kaum übrig…


New Orleans liegt hinter mir. Ich bin mitten in Florida, in einem dieser Spottpreis-Motels, die mich weniger kosten als die hiesigen Camping-Optionen. Morgen setze ich zum Final-Descent nach Miami an. Am Freitag empfange ich dort hohen und höchst willkommenen Besuch. Ich freue mich unglaublich!

Zum Abschluss ein paar Snapshots meines heutigen Roadtrips entlang der Golf-Küste…

Möcheds guet ond hebed Sorg!

Veröffentlicht unter Alabama, Florida, Louisiana, Mississippi, Tennessee | 2 Kommentare

Drivin‘ Big

Nicht schlecht, habe ich mir gedacht, als mir die alte Dame von der Reception mein Zimmer im „Budget Inn“ in Natchez, einer Kleinstadt am Louisiana-Ufer des Mississippi, zeigte. Ich wollte eigentlich billig absteigen, in einer Jugi oder auf einem Campingplatz. Doch hier in der Region gibt es weder noch. Und so checkte ich für gut 30 Dollar im Budget Inn ein, in ein Zimmer mit zwei grossen Doppelbetten, einem Flachbildfernseher, einem schönen Schreibtisch aus massivem Holz und einer wohl handgemachten Häkeldecke auf dem Fauteuil an der Wand gegenüber. Nicht schlecht, schon gar nicht für 30 Dollar. Im „Southern Food Restaurant“ auf der anderen Strassenseite holte ich mir einen Becher Kaffee. „One dolla, n‘ you be fine, baby“, lächelte mich die Verkäuferin an, als ich mein grosses Raiffeisen-Portmonnaie zückte, um zu bezahlen. Und so sitze ich mit billigem Kaffee in einem billigen Hotel an einem schönen Tisch, und erzähle euch mal wieder, was insideusa so alles abgeht. Ich habe mir in den vergangenen Tage viele Konzepte zu neuen Posts und Texten ausgedacht: „Kindom Go!“, „The Store“, „187 Days“ oder „Verzerrungen: eine Ideologie“; sie alle schlummern in meinem Hinterkopf und warten darauf, getippt und gepostet zu werden. Doch irgendwie ist mir in diesem gemütlichen Zimmer nicht zum Kritisieren zu Mute. Ich möchte mal wieder nett sein mit Amerika, und mal wieder schreiben, wie sehr es mir hier gefällt, und wie spannend dieses Land, dieses – wie ich in den vergangenen 10 Tagen erneut feststellen musste – unglaublich riesige Land ist.

Von Carlsbad, New Mexico aus trippte ich durch die unendliche Weite der West-Texanischen Wüste, durch riesige Steppen, vorbei an blinkenden Raststätten und mitten durch kleine, verwilderte Ortschaften. Roosevelt war eine dieser Ortschaften, in der ich mich auf Tipp meines GPS hin nach einer Tankstelle umschaute. Die Tankstelle, eine rostige Säule unter einem alten, sterbenden Baum, fand ich erst auf den zweiten Anlauf. „Prepaid“, stand auf einem handgeschriebenen Zettel. Ich schaute mich um, und ging über die Strasse zum einzigen Haus in der näheren Umgebung. Das Schreckmümpfeli „Die Tankstelle“ kam mir in den Sinn: ein Trucker, der an einer abgelegenen Tankstelle Halt macht, tanken will und dann in eine tödliche Falle gerät, als er ins Tankwart-Häuschen eintritt, um zu bezahlen. Doch das hier ist Texas, kein Schreckmümpfeli. Also ging ich rein und wurde von „Jim“ in seinem düsteren Restaurant/Tankstellenshop herzlich empfangen. Ich wolle nur tanken, sagte ich dem braungebrannten, langhaarigen Mann hinter der Theke, der mich daraufhin fast ein wenig enttäuscht anschaute. „Who are you, boy?“ „I’m Sam, from Switzerland.“ Die Enttäuschung wich aus Jims Gesicht. „I knew you ain’t Texan. Anyway“, er streckte mir strahlend seine Pranke hin: „I’m Jim, from Texas. Never left that place.“ Und so blieb ich ein Weilchen, erzählte Jim von meiner Reise und kaufte zu meinen 14 Gallonen Benzin zusätzlich ein Snickers. Menschen wie Jim, die mitten in der Wüste eine Tankstelle betreiben und in ihren düsteren Shacks freundlich ihre seltenen Kunden empfangen, muss man ja irgendwie unterstützen.

Tagesziel war San Antonio. Ich kannte die Stadt von meinem ersten US-Besuch 2006 und freute mich, wieder dorthin „zurückzukehren“. Die schäbige Jugi am Rande der Stadt, die mit allen üblen Jugi-Vorurteilen aufwartete (tote Kakerlaken im Badezimmer, „behaarte Matratzen“, betrunkene Bett-Nachbarn) war ein guter Grund, am nächsten Morgen früh aufzustehen und im Touristentempo „The Alamo“ (Monument zu Ehren der texanischen Freiheitskämpfer, die sich 1836 erfolgreich gegen die mexikanischen „Eindringlinge“ zur Wehr setzten), den Riverwalk und die engen Downtown-Schluchten abzuklappern.

Von „SanAn“ trippte ich nach Houston, um „my Texans“, bei denen ich im November Thanksgiving feierte, erneut einen Besuch abzustatten. Houston, diese an sich so unpersönliche Stadt, gefällt mir bei jedem Mal besser. Vielleicht liegt das an den Gold-Singletons („my Texans“), vielleicht am schönen Wetter, vielleicht an den Erinnerungen an meinen ersten Besuch in Amerika vor fünf Jahren, der mich hierhin führte. Wir schauten uns das Millionärs-Quartier „River Oaks“ und dessen Mega-Villen an, „testeten“ verschiedene neue Restaurants der Stadt, schauten bei der Küstenstadt Galveston vorbei und lauschten am Sonntagmorgen in einer der weltgrössten Kirchen, der Lakewood Church, den verführerischen Versprechen von Pastor Joel Osteen (mehr dazu bald in „The Store“)…

1) Energie und Christentum: zwei Dinge, die in Texas in Massen produziert und in noch grösserem Mass konsumiert werden; 2) Galveston, das nach dem Wirbelsturm Ike 2008 bis zu drei Metern unter Wasser stand; 3) Teddy-Bär Texan-Style, oder, e Riise-Bruno; 4) Ölbohrinseln prägen das Bild im Hafen von Galveston, der in vergangenen Jahrhunderten zur Anlauf- (oder besser, Einlauf-)stelle für Millionen von Menschen wurden, die dem Ruf der Freiheit folgten und aus allen heeren Ländern nach Amerika reisten; 5) zwischen den Ölplattformen kreuzen Riesenfrachter und Grosse Tümmler; 6) Ahoi!


Im Garten der Gold-Singletons knippsten wir ein paar „Familien-Bilder“, in genau derselben Konstellation wie vor fünf Jahren (nur ohne Lorenz Honegger). Damals hatte ich noch lange schwarze Haare und trug ein Manson-T-Shirt. 2011 sinds blonde kurze Haare und ein Beatles-Shirt. Man wird älter… Und, ja, diesen Werbe-Slogan der Bethabara Baptist Church möchte ich euch nicht vorenthalten. Mit freundlichen Grüssen aus dem „Bible Belt“ (Südstaaten von Texas bis Georgia). There’s more to come…

Von Houston aus ging die grosse Fahrt weiter. Ein bisschen crazy war das schon, aber wäg einisch. Einen Tag nach meiner Abfahrt aus dem Lonestar State stand ich in Atlanta, Georgia am Flughafen und holte Marco ab, meinen Mit-Schweizer aus NAU-Zeiten, der mich aus Arizona besuchen kam und mit dem ich ins Uni-Städtchen Athens fuhr, wo wir Stefan Risi aufgabelten. Stefan ist der dritte Schweizer, den die Uni Zürich für ein Jahr ins amerikanische Exil schickte. Zu Dritt machten wirs uns im Subaru gemütlich und nahmen uns die „Transit City“ Atlanta vor: The Lincoln Lawyer, die World of Coke (wo seit 1886 Cola gebraut wird), die University of Georgia (die 2010 den nationalen Preis als „best party college“ gewann), das weltgrösste Aquarium, die CNN-Headquarters, alte Villen, Wolkenkratzer (im sprichwörtlichen Sinne des Wortes) und eine Beinahe-Schiesserei während einem Mitternachts-Besuch im „Waffle House“ hielten uns drei Tage lang auf Trab…


Soweit mein heutiger Blog. Bald gibt’s mehr über Gott, Amerika und eine erschreckende Wildlife-Sichtung…

Bes gly ond macheds guet!

Veröffentlicht unter Georgia, Texas | 2 Kommentare

Enchanted I Am

„Land of Enchantment“ (Land der Verzauberung) steht gross über dem Empfangsschild New Mexico’s, einem der ärmsten Staaten der USA, den man leicht übersieht, wenn man sich die US Karte anschaut. Nicht wegen seiner Grösse, die ist nämlich beträchtlich. New Mexico ist um ein Haar so gross wie Deutschland. Übersehen könnte man das Land of Enchantment aber, weil es einfach ein weiterer dieser viereckigen Wüsten-Staaten im Südwesten des Landes ist. Ein hellbrauner Fleck, Sand, Staub, Steine, nichts weiter. Doch wie mir scheint hat New Mexico tatsächlich die Kraft zu Verzaubern. Im vermeintlichen Nichts der weiten Wüste versteckt sich viel mehr, als ich mir gedacht hätte. Und so kam es, dass aus meinem geplanten Kurzbesuch hier ein fast zweiwöchiger Aufenthalt wurde. Dies, auch wenn der Empfang an der Grenze nicht unbedingt sehr „enchanting“ war. Obwohl ich aus Arizona (und nicht aus Mexico) angereist kam, wurde ich von der Grenzpatrouille kontrolliert. Amerikaner? – Nein. – Nicht? Ok, dann Papiere. – Die sind im Rucksack. Ich wusste nicht, dass ich hier in eine Grenzkontrolle komme. – Ihren Pass, bitte. – Ok, er ist im Rucksack im Kofferraum. Darf ich aussteigen? – Moment… Woher sind sie? – Switzerland. – „Oh, Switzerland. (der Boarderpatrol-Mensch schaute mich sehr viel relaxter an). No, you’re good. Have a nice trip!“ Switzerland, das hilft manchmal. Das ist kein Gerücht und kein stolzes Vorurteil, sondern wahr. Switzerland, und die Welt ist (meist) in Ordnung.

Nach der Einsamkeit des White Sands National Monument und meinen unglücklichen Stunden nach dem Laptop-Crash brauchte ich etwas human interaction, um mich wieder in Stimmung zu bringen. Ich entschied mich, im Acoma Indianer-Reservat vorbeizuschauen und mir eine Führung durch die dortige „Sky City“ (das alte Acoma wurde auf einem Fels hoch über den umliegenden Weiten erbaut) zu gönnen. Über die traurige Geschichte Acoma’s hat mir Professor Michael Amundson an der NAU schon einiges erzählt. Und irgendwie blieb mir das meiste, was der historisch versierte Zweimeterzehn-Riese mit seiner wohlig tiefen Stimme von sich gab. Die Acoma Indianer lebten im Einklang mit der Natur und den benachbarten Stämmen, bis Juan de Onate – ein spanischer Eroberer, der von Cortez nach Norden entsandt wurde, um nach Gold zu suchen – Ende des 16ten Jahrhunderts in ihren Ländereien auftauchte, die Indianer zum Christentum „bekehrte“ und für viel Unmut sorgte. In den 1590er Jahren kam es deswegen zur „pueblo revolt“, in der sich die Acoma gemeinsam mit anderen Stämmen gegen die spanischen Eroberer zur Wehr setzten. Onate liess sich von den Aufständischen aber nicht sonderlich beeindrucken, schlug den Aufstand gewaltsam nieder und liess allen männlichen Bewohnern Acomas wahlweise einen Fuss oder eine Hand abhacken, damit sie nicht vergessen würden, wer jetzt hier das Sagen habe. Diese traurige Anekdote hat mir der Tour-Guide, der mich und ein paar andere Touris durch die Gassen des schönen Acoma Pueblo’s führte, interessanterweise nicht erzählt. Ich habe mich nicht getraut, danach zu fragen. In der von Geistern und bösen Erinnerungen nur so strotzenden Indianer-Welt hätte diese Frage unter Umständen eine nicht sehr freundliche Reaktion zur Folge gehabt. Also liess ich mein historisches Interesse bei Seite und genoss dafür die lehmigen Adobe-Bauten…


Von Acoma aus fuhr ich entlang dem hügligen „Turquoise Trail“ Richtung Santa Fe. Im Hippie-Dörfchen Madrid stoppte ich für einen Kaffee und einen fantastischen „Lemon-Poppy-Seed Muffin“…

Santa Fe selbst, wie es meine Lonelyplanet treffend schreibt, „is all about the art“. Von Künstlern, Galerien und Ausstellungen wimmelt es nur so in den Gassen der Altstadt. Doch, eines der vielen Dinge, die ich in meinem Leben noch nicht entdeckt habe, ist die Begeisterung für Kunst (Fotografie, wenn man das als Kunst betrachten will, ausgeschlossen). Also entschied ich mich, all die Galerien mit ihren wirren Bildern und rostigen Skulpturen bleiben zu lassen und mich stattdessen etwas viel Faszinierenderem zuzuwenden: Kirchen. Wenn auch nicht aus religiösen Motiven, so habe ich mich seit meinem Besuch in der „St. Benedict Painted Church“ auf der Big Island doch zu einer Art Kirchgänger gemausert. Um den Gotteshäusern auch ohne religiöse Besinnung etwas abgewinnen zu können, gehe ich bei meinen Kirch-Besuchen nach dem immer gleichen Prinzip vor: ich schlendere dem Kirchgang entlang bis zum Altar (oder zur Abschrankung vor dem Altar), drehe mich um, blicke zur Orgel hinauf, setze mich dann in die dritte Bankreihe und „fühle“ die Kirche. Das Vorgehen garantiert etwas Besinnung, etwas Entspannung und vor allem ein paar Parameter, anhand derer man die diversen Bauten miteinander vergleichen kann. „church rating“, nenne ich das Ganze. Ich habe bei der mächtigen St. Francis Cathedral (Bild 1), der Loretto Chapel (Bild 2) und der San Miguel Mission Church (Bild 3), der ältesten Kirche der USA, vorbeigeschaut und mich ausführlich entspannt…

Die Temperaturen rund um Santa Fe waren deutlich niedriger, als ich erwartet hätte. Und meine Idee, die beiden Santa Fe-Nächte auf einem schattigen KOA-Campground ausserhalb der Stadt in meinem Zelt zu verbringen, war etwas gewagt. Das Thermometer fiel in der Nacht auf unter Null grad (mindestens laut meiner Subaru Temperatur-Anzeige) und mein finnischer High-End-Schlafsack bemühte sich vergeblich, mich warm zu halten. Ich schlotterte mich durch die dunklen Stunden und flüchtete am zweiten Morgen ins geheizte Kapitol der Stadt, wo der Senat New Mexico’s tagt, und wo man zu meinem sehr grossen Erstaunen ohne jegliche Sicherheitskontrollen über sich ergehen lassen zu müssen den Senats-Sessions beiwohnen kann. Mit Kamera und Rucksack und Picknick setzte ich mich in die Zuschauerränge des Senatssaals und verfolgte die Debatte der New Mexico Abgeordneten über eine neue „healthcare reform“, die auf Staats-Level angepackt werden soll. Was mich bei meinem ersten Besuch einer amerikanischen Senats-Debatte besonders beunruhigte, waren nicht die zahlreichen Burgerking-Papiertüten, die auf den Tischen rumlagen und nicht die nicht-vorhandenen Sicherheitsmassnahmen. Was mich störte war die Unprofessionalität der Abgeordneten. Einer der Senatoren verlangte das Wort, nur um alle darauf hinzuweisen, dass man in der Nacht die Uhr um eine Stunde vorstellen müsse, aber nur als Demokrat. Die Republikaner sollen die Zeit um 100 Jahre zurückdrehen, dann würden sie da landen, wo sie hingehörten. Die Antwort kam postwendend. Ein Republikanischer Abgeordneter verlangte das Wort und sang während etwa einer Minute ein mir unverständliches Lied in sein Mikrofon, das offensichtlich anti-demokratisch war und die ganze Republikaner Garde zum Lachen brachte. Der House-Speaker (der „Chef“ des Parlaments, der vorne am grossen Pult sitzt und über seine Mit-Politiker „wacht“) lieferte ebenfalls einen Beitrag der eher unwürdigen Art. Er unterbrach die Debatte zweimal, aber nicht, um etwas Nützliches beizufügen, sondern um den Zwischenstand eines Basketball-Spiels des lokalen College-Teams bekannt zu geben. Als politisch nicht aktives Mitglied unserer Gesellschaft sollte ich mich mit meinen Kommentaren über Menschen, die ihre Zeit für ein politisches Amt opfern, zurückhalten, ich weiss. Aber trotzdem, so wird das doch nichts, liebe Abgeordnete. Unter leisem Protest verliess ich das Senatsgebäude und überlegte mir bei einem Crèpe in einer französischen Bar, ob, und wenn ja, dann wie und für was ich mich back home in Zukunft politisch engagieren soll. On verra…

Ich verliess Santa Fe nach zwei Tagen und fuhr durch die karge Bergwelt Nord-New Mexicos in Richtung Taos. Auf dem Weg machte ich einen längeren Stop in Los Alamos, der „Secret City“, wo die Amerikaner unter Beitun einer internationalen Wissenschafts-Truppe (featuring Albert Einstein und Co.) in den frühen 1940er Jahren an der ersten Atombombe rumzutüfteln begannen und im Frühjahr 1945 schliesslich die ultimative und – je nach Ansicht – kriegsentscheidende Waffe entwickelten. Im Bradbury Science Museum habe ich mich über die Geschichte der Atombombe und des immer noch aktiven Los Alamos Forschungszentrums informiert und darüber gestaunt, wie kritisch die Aussteller die Atom-Energie der eigenen Regierung kommentieren…

Die nächsten zwei Nächte verbrachte ich in einer ziemlich ausgeflippten Jugi in Taos. Tagsüber floh ich vor all den Hippies und Junkies und schlenderte durch die Gassen der einstigen Missionars-Stätte. Auch in Taos wimmelt es von Künstlern und Galerien, und auch hier kann man sich wunderbar beim „church raten“ erholen…

Man kann über die zweithöchste Brücke der USA spazieren, die über die Rio Grande Schlucht führt…

… man kann sich die nahegelegene „Earthship“-Siedlung anschauen, wo sich eine Gruppe von Umwelt-Aktivisten aus Reifen, Altglas und Lehm eine ökofreundliche und ziemlich stylische Kommune aufgebaut hat. Die multifunktionalen und umweltfreundlichen Bauten haben mich irgendwie fasziniert. Unter www.earthship.org kann man sich etwas ausführlicher über die Kommune und ihre Aktivitäten informieren. Die Earthship-Bauteams kann man auch engagieren, um sich irgendwo auf der Welt sein eigenes Earthship bauen zu lassen. Ich habe mir das notiert…


… man kann sich in Adobe-Hinterhöfen auf alte Bänkli setzen und nachdenken, patriotische Autonummern fotografieren oder auf die weiten Felder hinausfahren, um den Sonnenuntergang zu geniessen. Letzteres ist aber nur möglich, wenn man sich nicht von der Polizei der eingeborenen Taos-Indianer erwischen lässt. Das Land gehört ihnen, und ist für Weisse „forbidden land“, wie mir der indianische Ordnungshüter aus seinem massigen SUV heraus zuschrie.

… oder man kann durch die Rio Grande Schlucht wandern und darauf hoffen, eines der Adlerpaare, die hier nisten, zu sichten.

Von Taos aus reiste ich wieder Richtung Süden, vorbei an Cimarron, wo ich bei einem artistisch gesehen eher speziellen Grab vorbeikam; vorbei am Bottomless Lakes Statepark, wo ich „Roadrunner“ Vögel sah und in einem der Seeen planschte; vorbei an Roswell, wo 1947 eine UFO abgestürzt sein soll und wo man sich in einem ziemlich schlechten Museum über alle möglichen Aliens und ihr irdisches Treiben informieren kann; hinunter zum Carlsbad Caverns National Park, wo man durch die wunderschönen Tropfsteinhöhlen spazieren und mexikanischen Fledermäusen bei der Insektenjagd zusehen kann.

New Mexico war äusserst enchanting. Auf meiner Reise Richtung Miami bleibt mir nun wohl kaum noch genügend Zeit, um all meine texanischen Pläne und Deep South Trips zu verwirklichen. Mal schauen, was sich machen lässt…

Bes gly ond hebeds guet…

Veröffentlicht unter New Mexico | 1 Kommentar