Forever West

Ich habe „Sleepless in Seattle“ nie gesehen, und weiss noch nicht einmal, welche Geschichte der Film erzählt. Nach zwei Tagen in dieser Stadt kann ich mir aber vorstellen, dass es kein Zufall ist, dass ausgerechnet Seattle und nicht New York oder LA sleepless machen soll. Es gibt wohl mehrere Gründe, die mich und viele andere hier auf Trab halten und nicht zur Ruhe kommen lassen. Seattle, um einen zu nennen, ist eine weitaus spannendere Stadt, als ich mir gedacht hätte. Ein früher Bett-Gang wäre in all der kulturellen Vielfalt und dem angenehm städtischen Ambiente eine Sünde. Zudem ist das Klima hier oben an der nördlichen „Wet Coast“ tüppig und erdrückend, so dass man sich lieber in klimatisierten Jugi-Küchen an den Tisch setzt und bloggt, anstatt ins unerwünscht warme Bett zu kriechen. Und drittens – was mich riesig freut – scheint es in Seattle unermesslich viel Cafés mit echt gutem Kaffee zu geben. Mein Koffein-Level ist daher fast wieder auf Semester-Abschlussprüfungs-Stand und hält mich über die frühen Schlummerstunden hinaus wach. Und schon ist sie da wieder, die Diskrepanz zwischen dem realen Ich und dem blogging ego. Das hinkt nämlich noch immer hinterher, und muss sich über die nächsten zwei Posts erst einmal durch das nördliche Kalifornien und das wunderschöne Oregon hinauf in die Sleepless City kämpfen. So let’s do it…

Unmittelbar nördlich von San Francisco an der schroffen nordkalifornischen Küste liegt die kleine Hippie-Kommune „Bolinas“. Die Bewohner machen sich einen Spass daraus, das Ortsschild regelmässig (und nicht regelkonform) von seinem Pfosten am Highway-Rand abzuschrauben, sodass möglichst alle potentiellen Touristen die Abzweigung hinein ins kleine Künstler-Kaff verpassen und unbekümmert daran vorbeisausen. Die Taktik scheint zu funktionieren. Auch wir haben die Ausfahrt beim ersten Anlauf verpasst und erreichten Bolinas nur über Umwege. Gelohnt haben sich diese allemal. Das „socially acknowledged nature-loving town“ ist europäisch-schnüsig und hat mich an die piktoresken Fischerdörfer im Norden Hollands erinnert. Herausgeputzte Holzhäuser säumen die für amerikanische Verhältnisse schmale Dorfstrasse. Fastfood oder Supermarkt-Multis gibts hier keine. Dafür ein paar Kunstgalerien, einen Smoothie-Shop und einen fantastischen Strand, an dem wir uns die Zeit mit Avocado-Sandwiches, Muschelsuchen und Frisbee-Spielen um die Ohren schlugen.

1-3) Bolinas, ein mehr als sympathisches Gegengewicht zu all den unästhetisch verbauten, in allen Werbefarben blinkenden Suburb-Crusts; 4-6) nördliche von Bolinas erstrecken sich entlang dem Highway 1 kilometerlange, menschenleere Sandstrände, die zum Verweilen und Geniessen einladen…

  
  

Bolinas war entspannend, hipp und irgendwie so, wie San Francisco wohl einst gewesen sein muss, als der „summer of love“ über die Bühne hinkte und man sich betont freimütig und locker gab…

1) Bolinas‘ Gallery Lane, 2) der legendäre Highway 1, 3-4) NoCal’s Strände: verlassen und berauschend schön…

   

Im obersten Ecken California’s liegt der verzettelte und wegen seiner zusammengewürfelten Form schwer überschaubare Redwoods National Park. Der Park beheimatet in seinen dichten Regenwäldern einige der grössten und ältesten Pflanzen des Planeten. Knapp 100 Meter hoch und über 2’500 Jahre alt sind die massivsten der unzähligen Redwoods, die hier erhaben und leise rauschend in die nebligen Höhen ragen. Wir spazierten in der Lady Bird Johnson Grove (einer der leicht zugänglichen Regionen des Parks) herum und liessen uns beeindrucken von der Grösse der Bäume und der dichten Schönheit des Waldes…

  
  

Der Anblick eines lebensgrossen Redwood Baums lässt sich kaum mit etwas Anderem vergleichen. Man muss die Pflanzen wohl gesehen haben, um zu wissen, wie respekteinflössend sie sind. Bild 3, dachten wir uns, ist ein guter Hinweis darauf, wie „krass“ dieser Wald wirklich ist. Juli und Beni wirken umgeben von den sanft schaukelnden Riesen verschwindend klein…

   

Neben Redwood Bäumen und mystischen Nebelschwaden bot der Redwoods National Park auch eine der überraschendsten (wenn nicht sogar DIE überraschendste) Wildlife-Begegnung, die ich in meinem Amerika-Jahr erlebt habe: nach unserer Ankunft im Nationalpark haben wir uns in einer der nahegelegenen Ranger-Stations eine der jeweils sehr hilfreichen Nationalpark-Broschüren abholen und uns über die Wanderwege des Parks informieren wollen. Die anwesende Rangerin war gut gelaunt und wenig gefragt, und so hakten wir nach und wollten wissen, ob sie uns für unseren zweitägigen Besuch im Park ein paar „Geheimtipps“ geben könne. Sie kritzelte auf unserer Karte ein paar Wanderwege und Scenic Drives an, drückte uns die Karte wieder in die Hand und dann, ganz zum Schluss, fast als Nebensatz, sagte sie: „oh, and by the way, there are two California Gray Whales hanging out in Klamath River. They’ve been there for about 20 days. If you’re lucky, you might be able to see them.“ Grauwale, die im Pazifik falsch abbogen und sich in einem Süsswasserfluss verirrten; das tönte unglaublich und machte uns nur wenig Hoffnung. Nach unserem Ausflug in die Lady Bird Johnson Grove fassten wir uns dennoch ein Herz und fuhren hinunter zum Klamath River. Wenigstens versuchen können wirs ja mal. Zwei Stunden wollten wir den Walen geben, uns irgendwo hinsetzen, picknicken, und hoffen, dass wir in der Ferne des Wassers irgendwo die Andeutung eines Blases erkennen würden, wenn die Grauwale denn überhaupt noch da sind. Doch manchmal läufts wohl wirklich anders, als man denkt. Nach nicht einmal einem Kilometer entlang der Klamath River Road sahen wir die beiden Wale von der Strasse aus im Fluss hin und her tümpeln. Zwei graue Riesen, eine Mutter mit ihrem Kalb, in einem Fluss nicht breiter und sicher nicht tiefer als die Reuss in der Bremgarter Schlaufe. Wir trauten unseren Augen kaum, stellten unseren Dodge an den Strassenrand und kletterten mit einer Packung Kellogs und einem Liter Soja Milch im Rucksack zum Flussufer hinunter, in der Hoffnung, dass die Wale noch da sein würden. Während gut anderthalb Stunden schwammen die beiden riesigen Tiere wenige Meter (ich übertreibe nicht) vor uns hin und her, kehrten sich im Wasser, bliesen ihren nieselnden Blas meterhoch in die Luft, sonnten sich hie und da regungslos in den seichten Ufer-Zonen und schienen uns mit ihren tiefliegenden Augen beim „zmörgele“ zuzuschauen. Es war eine Wildlife-Begegnung der Extra-Superklasse. Wir drei und zwei verirrte Grauwale, absolut ungestört und friedlich. Neben Buckelwalen auf einsamen Kayak-Trips und Delfinen auf Inselrundfahrten in Florida jetzt also auch Grauwal bim Zmorge am Flossufer: mein year abroad war ein walhaftiges gutes Jahr!

  
  
  
  

Was die Wale nach unserem Zmorge trieben, ist uns nicht bekannt. Wir aber zogen nordwärts, entlang kurviger Küstenhighways und durch schöne Beachtowns, in denen man sich zur Zeit für sehr wenig Geld Land kaufen und sich seinen West Coast-Anteil absichern könnte. I dream on… Wir verliessen Kalifornien und freuten uns auf unsere Tage in Oregon, das uns mit dichtem Tannenwald, schönem Wetter und spektakulären Küsten-Szenerien willkommen hiess.

1-3) Snapshots von unserem Ausflug in die Sunset Bay und Arago State Parks im südlichen Oregon, 4-5) bewegte Familienbilder am Strand von Bandon, 6) Pelikane im Gänseflug, 7-9) ein Caspar David Friedrich-esker Sonnenuntergang vor unserer Lodge in Bandon…

  
  
  

Ein Zimmer mit Meerblick, wie wir es uns in der Indian Lodge im schönen Küstenstädtchen Bandon gönnten, ist bei Sonnenuntergängen wie diesen unbezahlbar…

   

Doch, nicht immer kann sich unser eins Suiten mit Meerblick leisten. Manchmal muss man sich mit staubigen Räumen in heruntergekommenen Roadside-Motels begnügen. Aber auch diese Orte haben ihren ganz speziellen Reiz, wenn auch vorwiegend in den Augen und der Nase. Hier ein paar Impressions von unserem Chill Out-Evening im Economy Inn in Reedsport…

  

Was Reedsport als Ort alles nicht zu bieten hat, liesse sich an zwei Händen kaum abzählen. Einziger und dafür umso grösserer Pluspunkt ist die Nähe zur Oregon Dunes National Recreation Area, einer riesigen Sandwüste mit Pazifikanschluss, deren Dünen (wo sie nicht gerade von kranken ATV-Rasern kaputtgefahren werden) zum Runterspringen, Krabben-Sammeln und Sandboarden einladen…

  
  
  

Mit unserem familien-internen Snowboard-Lehrer und einer grossen Portion Mut mieteten wir uns im Sand Master Park ein Sand Board und eine Kante Wachs, kletterten hinauf in die sandigen Höhen und liessen es krachen…

   
   

Den „rode the dunes“ Stempel haben wir uns redlich verdient. Und die Vorfreude auf die weniger heissen und deutlich längeren Schneepisten zuhause ist allseits gross.

So long!

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Eine Antwort zu Forever West

  1. BARBI schreibt:

    viel spass in seattle………. tut mir fast leid, dass euer trip bald zu ende geht. was kann ich nachher während der mittagspause im büro lesen ?

    geniesst noch die letzten paar tage und dann gute heimreise in die ch. bringt uns bitte ein bisschen sonne mit nachhause.

    lieben gruss

    BARBI

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