Das Del Taco Restaurant auf einem der riesigen Parkplatz-Shopping-Fastfood-Komplexe in den Suburbs der Kleinstadt St.George im südlichen Utah ist kein besonders inspirierender Ort. Die Ventilatoren an der farbig bemalten Decke fächern mir stickig-kühle Luft ins Gesicht. Das rhythmische Piepsen der Mikrowellen und Frittierpfannen in der Fastfood-Küche erinnert mich an meinen Natel-Wecker, nur, dass es hier keinen „Snooz“-Button gibt, mit dem ich das schläfrige Geräusch zum Verstummen bringen könnte. Die Leute rund um mich verdrücken klebrige Burritos und Tacos. Gerade gut schmecken die nicht. Doch, „they do the job“, sie lassen einen den Hunger für eine Weile vergessen. „Do the job“, das ist vielleicht gar keine so schlechte Beschreibung für vieles, dem man hier in diesen städtischen Suburbs begegnet. Man kriegt hier praktisch alles, wird von riesigen Supermarkt-Ketten umworben, hat die Wahl zwischen zahllosen Imbiss-Restaurants, die mit blinkenden Tafeln auf ihre neuen Menus aufmerksam machen. Billige Hotelketten locken mit den „best rates in town“ und „heated indoor pools“. Versicherungsgesellschaften und Banken beraten in dahingeklotzten Neubauten ihre Kunden und wer will kann sich für 29.95 um die Ecke die Zähne polieren und schnellbleichen lassen. Fastfoodketten, Mega-Supermarkets, eintönige Small-Business Gebäudezeilen, blinkende Werbetafeln, frisch gestrichene Roadside-Motels: sie alle „do the job“, nur leider ohne Charme und Stil. In diesen dicken Konsum-Crusts, die in den USA so manche Stadt hemmungslos umstellen und mit ihrer 24/7-Mentalität zu überrollen drohen, würde es sich problemlos leben lassen. Man könnte sich jeden Tag mit einem neuen „Burger n’Fries“ oder einem „Crunchy Taco Menu“ kulinarisch verwöhnen, hätte die Wahl zwischen Walmarts, Albertson’s und Target, könnte Chevy-Pickups und Dodge-Offroaders leasen, sich von „Super Clips“ oder „Great Cuts“ die Haar stutzen lassen, sich im „13 Screen Cinema Multiplex“ die nötige Ration Kultur verpassen und danach für 25 Dollar in einem unterkühlten Motel-Room mit Flachbildfernseher und Highspeed WiFi unterkommen. Crustcrawling nenne ich diesen Lebensstil, dem ich in den vergangenen Monaten selbst ab und dann gefröhnt habe und der für viele Kleinstadt-Amerikaner tragischerweise zur bitter-süssen Alltagsrealität gehört. Crustcrawling „does the job“, nur eben ohne Charme und ohne Stil. Und ausgerechnet hier, in diesen elend-allesbietenden Crusts, habe ich gelernt, dass ein gewisser Charme und Stil wohl gerade beim Einkaufen, beim Essengehen oder beim Kulturkonsum, bei all diesen alltäglichen Kleinigkeiten, eine unersetzliche Rolle spielen.
In den vergangenen Wochen hatte ich ein paar interessante „Begegnungen“ mit amerikanischen Bevölkerungsgruppen, die in der einen oder anderen Form aus dieser monotonen Crust-Mentalität ausbrechen; Minderheiten, die man in der steril-heilen Welt der Crusts nur ungerne sieht oder die sich mit ihrem mikrigen Dasein inmitten der blinkenden Werbewelt nicht zufrieden geben wollen.
Eine der bemitleidenswerteren Minderheiten hier im amerikanischen Südwesten sind die Navajo-Indianer. Ende des 19ten Jahrhunderts wurden ihnen von der US-Regierung ein Reservat anderthalb Mal so gross wie die Schweiz zugeteilt. Die „Navajo Nation“ erstreckt sich über grosse Teile der Wüstengebiete Arizonas, New Mexicos und Utahs. Es ist ein an sich schönes Gebiet mit unzähligen Canyons, feurig Roten Berg-Ketten und weitläufigen Prärien. Ohne Wasser aber lässt es sich in dieser desert zone kaum leben. Bei den Gebietsverhandlungen im Vorfeld der Gründung der Navajo Nation beharrte die US-Regierung aber darauf, sämtliche Ansprüche auf das Wasser der durch die Navajo Nation fliessenden Flüsse für sich zu behalten. Die Navajos gingen leer aus, und mussten sich seit jeher mit Ziehbrunnen, Regen-Zisternen oder teuer erkauften Nutzungsrechten abfinden. In einer Sendung auf meinem Lieblingsradiosender NPR wurde die Wasserversorgungs-Situation in der Navajo Nation letztens zum Thema gemacht. Anscheinend leben noch heute weit über 60 Prozent aller Navajos ohne fliessendes Wasser. NPR hat einen Familienvater interviewt, der wöchentlich zweimal 120 Meilen mit seinem Pick Up zurücklegt, um seine vier Wasserkanister mit frischem Trinkwasser aufzufüllen. Auch sonst müssen die Navajos oftmals untendurch. Die Krebsrate in der Navajo Nation ist laut NPR 7mal (!) höher als in den restlichen USA. Einer der Hauptgründe dafür ist wohl der weit über den an sich zugelassenen Messwerten liegende Uranium-Gehalt im Grundwasser und der Luft. Noch heute wird auf der Navajo Nation in Open Pit Mines nach dem gefährlichen Element gegraben, ohne die gesundheitlichen Risiken für die Anwohner der Minen zu berücksichtigen. Auch fehlte den Navajos lange Zeit die nötige Unterstützung, um ein gut funktionierendes Bildungssystem auf die Beine zu stellen. Bis 1974 gab es im ganzen Reservat (again, anderthalb Mal so gross wie die Schweiz) nur gerade zwei Schulzentren. Im Extremfall legten Familien bis zu 160 Meilen (254 Kilometer) am Tag zurück, um ihre Kinder zur Schule zu bringen. All diese Umstände scheinen befremdlich in einer Nation, die sich selbst weit weit vorne sieht, wenn es um Lebensstandard und modern development geht. Gemessen am Umgang mit ihren indianischen Minderheiten müsste man den USA ein weitaus weniger schmeichelhaftes Zeugnis ausstellen.
Eine andere Minderheit, von der ich mir gar nicht so sicher bin, ob es sich wirklich um eine Minderheit handelt, sind die amerikanischen Patrioten, die patriots, denen man ab und dann in allen möglichen Formen begegnet. Es sind mittelalterliche Männer, die einem beim Spaziergang durch den Petrified Forest National Park anschreien und als „third world country bastards“ beschimpfen, wenn man sich mit einem norwegischen Begleiter auf Englisch über das Schweizer Waffengesetz unterhält. Es sind nicht mehr ganz nüchterne „true American“-Cap Träger in schummrigen Bowling Alleys, die die komisch sprechenden Bahn-Nachbarn schief und teils fast feindlich begutachten. Es ist Tim Pawlenty, einer der republikanischen Herausforderer Obamas für das Präsidentschaftsamt, der in einem seiner Video-Ads verspricht, „America, the best nation this world has ever known“ wieder auf den right track zu führen. Oder es sind junggebliebene Mitdreissiger, die einem am 4th of July, dem amerikanischen Nationalfeiertag, aus einem vorbeifahrenden Party-Bus „God bless America“ zurufen und mein scheues Handheben mit einem „what are you, European?!“-Gelächter quittieren. Amerikanische Patrioten; sie unterscheiden sich wohl kaum von den unseren. Und doch sind sie irgendwie beachtenswert. In den Gesprächen, die ich mit den redewilligen ihrer Sorte geführt habe, schien immer wieder durchzuschimmern, worin ihr ungebrochener Glaube an die Stärke und Einzigartigkeit „ihres“ Landes fusst. „This is the best country in the world, because of its freedom“, so sagte es Don, der Captain der Isle Royale Ferry, der mich auf sein Schiff eingeladen hatte, um die Nacht nicht in meinem Zelt durchfrieren zu müssen. Und dieser Glaube daran, dass dieses Land das beste sei, und dass es das beste sei, weil es einem Freiheit biete; dieser Glaube ist es, worauf der amerikanische Patriotismus zu wachsen scheint. Es ist eine an sich hohle, eine leere Ideologie, die die Amerikaner stolz macht. Wieso überhaupt sollen wir die besten sein? Wovon sind wir frei? Und wofür? Diese Fragen stellt man sich kaum. Man glaubt brav an den von Tim Pawlenty und Konsorten vorgekauten Freiheitsgedanken und stimmt ein in den Jubel, der Amerika zu dem macht, was es in vielen Bereichen doch eigentlich gar nicht ist.
Und wenn ich hier schon so all-weise zum kulturkritischen Rundumschlag aushole, dann erlaube ich mir, die dritte mir in letzter Zeit auffallende Minderheit nicht von der wohl etwas plakativen und nicht böse gemeinten Kritik zu verschonen. Die evangelikalen Christen Amerika’s sind jene Minderheit, denen es am besten gelingt, sich als dominante Mehrheit zu verkaufen, der man besser nicht in den Weg tritt. Laut Statistik sind zwar nur gerade knapp 20 Prozent der Amerikaner „Evangelicals“. Wenn man sich aber die Dichte der evangelikalen Kirchen im Land anschaut, oder wenn man sich auf einsamen Autofahrten durch die Radiosender switcht, dann erhält man den Eindruck, als sei dieses Land voll von Menschen, die den teils doch eher zweifelhaften Lehren evangelikaler Priester nacheifern. Die Idee, die Bibel ohne hierarchisches Vorgekäu durch den Vatikan oder sonstige christliche Institutionen zu interpretieren, der Grundstein des Protestantismus also, wird hier so ausgelebt, dass die resultierenden Lehren zum Teil in hochexplosiven politischen Aussagen gipfeln, die mich nur schon beim blossen Zuhören rasend machen. Wenn in Freikirchen (ich habe in den vergangenen Monaten drei besucht: in Los Angeles, in Houston und in Rapid City) die Rede von der Gefahr von Darwin’s Evolutionslehre die Rede ist, die den Menschen zum Affen mache und behaupte, dass Delfine vor Millionen von Jahren plötzlich das Land erobert hätten, dann ist das ungebildet und hohl. Wenn in kleinen Ortschaften am Strassenrand mit riesigen „God loves your foetus“ und „Abortion is homicide“ Schildern auf das verbrecherische Wesen aller Abtreibungs-Befürworter aufmerksam gemacht wird, dann ist das auffällig. Wenn aber in national ausgestrahlten Radiosendungen von AFR (American Family Radio, einer der grössten christlichen Radiosender im Land) erzählt wird, dass man sich keine Sorgen um die Erderwärmung machen müsse und dass man die Umwelt selbst nicht schützen müsse, weil alles was rund um uns passiert zu Gottes Plan gehöre, dann ist das schlicht gefährlich. Es ist diese Vermischung von frei interpretiertem christlichem Glauben und hochbrisanten politischen Themen, die mir zu Denken gibt. Menschen sollten glauben dürfen, was sie wollen, solange sich ihre religiösen Überzeugungen nicht in greifbar gefährliche politische Grundsatzannahmen verwandeln. In den USA scheint mir die Trennung zwischen Politik und Religion, mindestens im diskursiven Umfeld der evangelikalen Christen, nicht klar genug zu verlaufen. Und es scheint mir, als vermischten sich hier zwei Gebiete, die in der aufgeklärten und modernen Welt unbedingt und ohne Ausnahme klar voneinander getrennt bleiben müssen. Wenn Michele Bachmann, die als republikanische Tea Party Vertreterin ins politische Rennen ums Präsidentschaftsamt gestiegen ist, bei ihren Wahlveranstaltungen in die Menge schreit, dass der Mensch und Amerika nichts für die Klimaerwärmung könnten und dass man sich keine Sorgen um die Natur machen müsse, und wenn dann tausende american patriots begeistert zurückjohlen, dann wird die Gefahr dieser Vermischung greifbar und in ihrer Unmittelbarkeit erst ersichtlich. Dieses pervers übersteigerte evangelikale Denken darf nicht Einzug in die nationale Politik Amerikas halten. Und auf keinen Fall soll es dem internationalen Dialog über Umweltschutz und Klimaerwärmung in die Quere kommen. Denn gerade für seine unglaublichen Landschaften und seine wunderschöne Natur ist Amerika liebens- und bereisenswert. Doch dazu next time.
Wenigstens für ihre vor den Kirchen stehenden Werbetafeln möchte ich den ja nicht immer bitterbösen Evangelikalen Credits geben. Die Church-Slogans für sich sind teilweise doch recht originell. Hier ein kleiner Zusammenschnitt meiner persönlichen Favorits…
Hoi Samuel
Happy hour, paradise and what ever…. ganz schön spannend als durchreisender, kritsch denkender Journalist diese Mentalitäten mit ein wenig Distanz zu geniessen, im Wissen, dass die Gegend wieder verlassen wird……
Aber wiederum ganz schön spannend!
Liebe Grüsse
Ursula