A Place Without Its People

Wenn ich an der 700 South Blackbird Roost, APT 20 am Abend jeweils an meinem Fenster sass und meine Kellogs Special K Flakes crunchte, wünschte ich mir manchmal eine bessere Aussicht als das eher triste Bild, das sich mir da vor meinem Fenster bot. Alles, was ich von meinem Zimmer aus sah, war der Pine View Village Parkplatz, die graue Rückwand einer Auto-Werkstatt, eine Tanne und das gelb leuchtende „Travel Inn“-Signet, das etwas Farbe in den eintönigen Ausblick brachte. Irgendwann einmal werde ich als Tourist nach Flagstaff zurückkommen, dachte ich mir, und dann werde ich in diesem sympatisch gelben Travel Inn absteigen und herausfinden, ob die Aussicht von dort drüben besser ist. Und jetzt sitze ich „dort drüben“ am Fenster, im zweiten Stock des gelben Travel Inns, und schaue aus dem Fenster. Die Aussicht ist ganz ok. Ich sehe die vier Spuren der Route 66, die zwischen hier und meinem ehemaligen Zimmer durchbrausen. Ich sehe die ewig langen Güterzüge, die hinter der Pine View Village durchrattern. Ich sehe den waldigen Hügel hinter den Gleisen, auf dem das Lowell Observatory steht (von wo aus man 1930 den Pluto entdeckt hat). Ich sehe den wie immer strahlend blauen Himmel und den Humphreys Peak, der auch ohne weisse Schneespitze schön und friedlich 3000 Meter hoch in den Himmel ragt. Ich sehe Flagstaff, wie ich es kennen und schätzen gelernt habe, und ich bin glücklich, nach meiner langen Reise wieder hier angekommen zu sein. Ich habe manchmal den Eindruck, als sei ich wieder zu Hause, als sei alles vorbei, als sei ich dort, wo ich hingehöre. Das ist ein gutes Gefühl. Es macht mich ein wenig stolz, dass ich mich hier in dieser gewöhnlichen amerikanischen Kleinstadt so gut einleben konnte. Es ist aber auch ein komisches Gefühl, wieder hier zu sein, an dem Ort, den ich so gut kenne, ohne all die Menschen, die ich kannte. All meine „Flaggstaffians“ sind weg. Es ist niemand mehr hier von meinen Mit-Studenten, vom international team oder von meiner Basketball Truppe. Sie sind alle weg, zurück in Australien, der Schweiz, England, oder über den summer break bei ihren Eltern irgendwo sonst in den USA. Flagstaff im Juni ist für mich ein „place without its people“. Und es lässt mich spüren, dass es wohl nicht Orte sind, die einem „Heimat“ vermitteln, sonder Menschen. Und so freue ich mich, in gut fünf Wochen zu euch zurückzureisen, dorthin, wo ich zuhause bin.

Mein Zimmer im Travel Inn habe ich in den vergangenen zwei Tagen in eine faktische Lagerhalle „umdekoriert“, mit all meinem Stuff, der sich bis hierhin in meinem Subaru angesammelt hat. Eine grosse Plastikkiste voller Kleider, zwei Laptops, 28 Kilo Bücher, zwei Dutzend CDs, eine Gschänkli-Tasche, mein Camping-Equipment, meine „Küche-Im-Sack“, meine Schuschachtel-Papeterie, meine Nostalgie-Box, meine Kamera-Ausrüstung, mein Wöschsack und meine Quarter-Sammlung (die ist inzwischen übrigens komplett!). Einmal mehr staune ich darüber, was sich in einem Kofferraum alles ansammeln kann, auch wenn man sich Mühe gibt, möglichst nichts anzusammeln. Und so sitze ich hier, umgeben von all dem „Stuff“, der bis vorgestern im Subaru stapelte. Der Stuff ist mir geblieben, der Subaru nicht. Ich habe ihn heute Nachmittag nach acht treuen Monaten und weit über 20’000 klapprigen Meilen verkauft.

Der Entscheid, den Subaru in Flagstaff loszuwerden und von hier aus den letzten Abschnitt meiner Reise per Mietauto anzutreten, fiel mir nach den letzten paar Wochen nicht sehr schwer. Die Probleme mit dem Getriebe scheinen sich während den letzten paar Roadtrip-Tagen noch einmal deutlich verschlimmert zu haben. Insbesondere auf den Passstrassen in den Rocky Mountains machte mir der Subaru deutlich, dass er wohl nicht mehr lange kann und dass ich ihn besser frühzeitig in den Ruhestand schicke. Das schüttelnde und ratternde Auto hat mir stellenweise fast leid getan. Und meine Erinnerungen an die Abschleppaktion mitten in der Wüste Arizonas im letzten Dezember mahnten mich, dass ich bezüglich meinem Subaru besser den „safe way“ wähle. Mit dem leeren und blank geputzten Subaru fuhr ich heute Nachmittag zu Gus, jenem Dealer, bei dem ich meinen japanischen Freund im November gekauft hatte. Ich hatte Mühe, die Pokerface-Verhandlungs-Rolle zu spielen, weil ich ganz genau wusste: wenn Gus das Auto testfährt und merkt, wie stark alles schüttelt und rattert, dann schaut für mich kein roter Rappen raus. Ich blieb also vorsichtig, als er mich fragte, was für preisliche Vorstellungen ich denn habe. „Why don’t we take it for a test-ride, and then talk about it“, schlug ich tapfer vor, im Wissen darum, dass dieser Test-Ride eine verkaufstechnische Hochrisiko-Aktion darstellte. Gus nickte und nahm mich mit auf den alles entscheidenden Kurz-Trip. Gut zehn Minuten fuhren wir, bergab, bergauf, auf den Highway, durch das Villen-Quartier, mal schnell, mal langsam, dann zurück zu Gus. Und zum allerersten Mal seit Wochen fuhr mein Subaru, als wäre er in seinen besten Jahren, als hätte er nicht 217’000 Meilen auf seinem silbernen Buckel, als gäbe es keine transmission problems. Kein Schütteln, kein Rattern, kein Rütteln, nichts. Ich war stolz auf mein Auto, das mir auf dieser letzten Rundreise noch einmal die Treue hielt und mitpokerte. Nach der Diagnose der Subaru-Mechaniker in Toronto, die mir deutlich sagten, es sei wohl bald an der Zeit „to get out of the car“ und nach all den ratternden Meilen habe ich nicht mehr gedacht, das Auto einigermassen profitabel loswerden zu können. Und dann stand ich plötzlich in Gus’s Office, unterschrieb den Rückkaufsvertrag, zählte die 30 Hundertdollar Noten durch und machte mich schleunigst aus dem Staub. Beim Hinauslaufen klopfte ich dem Subaru dreimal auf die Hube. „Thanks mate“, flüsterte ich leise, und verschwand um die Ecke.

Am Vorabend der „Trennung“ nahm ich mein Auto noch einmal mit zum Grand Canyon. Auf der Rückfahrt machte ich mir ein paar Gedanken über die absurden Beziehungen, die man als Mensch zu Objekten aufbauen kann. Und wenn ich mir das jetzt so überlege, dann glaube ich, dass mein Subaru vielleicht doch mehr war als eine launische Klapperkiste. Immerhin hat mir das Auto manchmal fast ein wenig das Gefühl von Heimat vermittelt, als wäre es für eine Weile mein rolling home, mein mobiles Zuhause gewesen…

      

Der Grand Canyon, übrigens, hat in der Zwischenzeit nichts von seiner Magie verloren. Ich glaube, ich könnte ein Leben lang an diesem Abgrund sitzen und es danach noch immer nicht fassen. Dieser Ort ist, wie ihn mein Lonelyplanet beschreibt, schlicht „larger than life“…

   

So Long!

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2 Antworten zu A Place Without Its People

  1. M.W. schreibt:

    …hey schumi! din blog isch eifacht de hammer… 20min isch überflüssig worde im zug 😉 so wies dönt gahts der super…aber gli chunsch ja au wieder hei…. ich glaub das schreit nachere willkommensparty 😉 bim plümeli viellicht *g* herzliche dank na fürd karte. het mi gfreut. muss der denn mal na die neu adresse schicke… machs guet & take care! l.g. vo m.w. nicht mehr aus m. sondern aus b. 😉

  2. Ursula schreibt:

    Hoi Samuel
    du entwickelst dich zu einem wahren Geschäftsmann! Gratulation 🙂 Es geht nichts über die Japaner, die sind einfach zuverlässig, auch wenn es im ersten Augenblick nicht so aussieht. Wir wünschen dir, Julia und Benedikt noch einen guten Enspurt und freuen uns riesig, euch dann wieder in der trauten Heimat zu begrüssen.
    Liebe Grüsse
    Ursula und Stefan

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