11 Tage New York City, das mag verschwenderisch tönen. New York, Strassenschluchten, Betontempel, Rushhour-Lärm. Was will man da, 11 Tage lang?Doch, wer wie ich einmal das Vergnügen hatte, Paul Auster’s „New York Trilogy“ zu lesen, der weiss: New York hat man erst gesehen, wenn man sich komplett darin verliert und sich dem Gewimmel der scheinbar unendlichen Grossstadt geschlagen gibt. Widerstand scheint zwecklos. New York lässt einen nicht los und macht den Abschied schwer. Besonders in Zeiten wie diesen.
Tragischer Teil der Faszination New Yorks ist der Ground Zero, das klaffende Nichts in der Skyline des Big Apple, wo bis Anfang September 2001 die beiden WTC-Türme über 400 Meter hoch in den Himmel ragten und wo sich heute, nach knapp 10 Jahren Aufräumarbeiten und Neubau-Plänen, ein neuer Riesen-Skyscraper langsam aber stetig in den Himmel hochschraubt und in weniger als einem Jahr das neue höchste Gebäude Nordamerikas sein wird. Trotz dem lauten Baulärm und den Scharen von Touristen und Wallstreet-Brokern, die zu tausenden in den Strassen rund um den Ground Zero umherschlendern und -hetzen, hat der Ort etwas Besinnliches. Leute legen Blumen nieder, hängen Briefe an ihre verstorbenen Verwandten auf oder schauen stolz auf die blaue Glas-Fassade des mächtigen Neubaus, der bei meinem letzten Besuch hier noch nicht zu sehen war und heute bereits alle Gebäude in Manhattan (mit Ausnahme des Empire State Buildings) überragt.
Die Erschiessung Bin Ladens zauberte dem an sich so unschuldigen Schrein des amerikanischen Bundes ein hässliches Lächeln aufs Gesicht. Hasstiraden gegen Bin Ladens Al Qaida wurden auf die blauen Sichtschutz-Blachen gekritzelt und aggressive Titelstorys über die Erschiessung des Top-Terroristen an die Zäune geheftet. Landesweit dominierte die Erschiessung Bin Ladens in den vergangenen Tagen die Fernseh-Sendungen und Tageszeitungen. Amerika feiert sich und sein Bündnis wieder. Bin Laden ist tot, das Freiheitsgefühl und der Sinn für Zusammengehörigkeit leben auf. Es ist beunruhigend zu sehen, wie die Ermordung eines Menschen, sei er noch so rachsüchtig und gefährlich wie Bin Laden, eine ganze Nation im kollektiven Freudentaumel versinken lassen kann. Die einzige Kritik an der Erschiessung Bin Ladens, die ich von amerikanischer Seite her mitbekam, kam vom US-Dokumentarfilmer Michael Moore, der sich in einem CNN-Interview mit Pierce Morgan enttäuscht zeigte über das Navy Seal Kommando, das Bin Laden aus der Welt schaffte. Moore, der hierzulande eher als anti-patriotischer Komiker denn als ernstzunehmender Journalist betrachtet wird (fälschlicherweise, meiner Meinung nach), zog den gewagten Vergleich zu den Nürnberger Prozessen und betonte, wie wichtig es für die internationale Gemeinschaft und die von 9/11 und anderen Qaida-Anschlägen Betroffenen gewesen wäre, Bin Laden in einem streng und korrekt geführten Gerichtsverfahren mit seinen Taten direkt zu konfrontieren und zur Verantwortung zu ziehen, statt ihn per Erschiessungskommando zum Märtyrer eines aggressiven Glaubenskreises zu machen. Die zynischerweise erfreuliche Folge von Bin Ladens Erschiessung ist der Popularitätsanstieg von Barack Obama, der sich mit dem Entscheid, Bin Laden mit einer gewagten Navy Seal-Aktion vom Thron zu stossen, in den Augen vieler Amerikaner vom sozialistischen Wirtschaftsschreck zum starken Führer der Nation gemausert hat. Ich mag Obama den Popularitätsschub von Herzen gönnen. Laut der neuesten CNN-Umfrage stehen wieder 59 Prozent der US-Bürger hinter ihrem Präsidenten. Wenn Obama 2012 dank der Beseitigung Bin Ladens wiedergewählt wird, dann hat sich das ganze Theater wohl sogar gelohnt.
Obama kam zwei Tage nach der von ihm befehligten Aktion in Abottabad persönlich zum Ground Zero, um vor einer geschlossenen Gesellschaft eine kurze Rede zu halten. Und während Annina sich mit einer aus Canada angereisten Kollegin traf, kämpfte ich mich durch das dichte Human-Gewimmel in Downtown-Manhattan, um auch einen Blick auf die vorbeifahrende Präsidenten-Parade werfen zu können. Obama live zu sehen war ein für mich sehr spezielles Erlebnis. Als ich den mächtigsten Menschen der Welt wenige Meter von mir entfernt hinter dem dicken Panzerglas seiner Limousine erkannte und sah, wie er strahlend in die Menge winkte und mich, wie ich mir einredete, für einen kurzen Moment anschaute, überfiel mich dieses seltene Gefühl, irgendwo tief zwischen Glückseligkeit, Schwäche und Stolz zu versinken. Der Vergleich ist wohl verfehlt, aber; die Intensität dieses Moments erinnerte mich an den Augenblick, in dem mir Marilyn Manson als 19-jähriger kurz die Hand hinstreckte, während er stimmgewaltig seine „Coma White“-Ballade in die Weiten des Hallenstadions hinausschrie. Auch ich bin nur ein Mensch, schwach und ehrfürchtig im Angesicht von Macht und Ruhm…
1-3) Eindrücke vom Ground Zero. 4-6) Das mediale Interesse, der Menschenauflauf in den Strassen Manhattans und der wiedererwachte Stolz der Amerikaner auf ihren Präsidenten waren beeindruckend. 7-9) Das Präsidentenlogo auf der Fahrerseite beweist: it is him! Auf der Rückfahrt vom Ground Zero zum Flughafen erblickte ich Obama auf der Rückbank. Schaut genau hin!
Doch, Ruhm und Ehre ist nicht alles, was der Big Apple zu bieten hat. Manhattan kann auch „downright dirty“ sein, schäbig und widerlich. Wer diese Seite New Yorks kennen lernen möchte, sollte sich ein Zimmer im Hotel Carter nehmen. Der riesige Hotelkomplex, der an bester Lage direkt beim Times Square steht, ist der einzige Ort in Manhattan, der Zimmer für weniger als 200 Dollar pro Nacht anbietet. Für New Yorker Verhältnisse „läppische“ 88 Dollar verrechnet einem das Carter pro Nacht. Wir buchten für fünf Tage und freuten uns darauf, unsere letzten gemeinsamen Tage in Amerika gemütlich ausklingen zu lassen. Im Carter angekommen wurden wir von einem betrunkenen Serviceman auf unser Zimmer begleitet. Der alte Mann, der unser Gepäck unsanft auf sein Chärreli schmiss, rammte auf dem kurzen Weg vom Lift zu unserem Zimmer mehrmals die Hotelwände und überfuhr zweimal Anninas vom Chärreli runterhängende Mammutjacke. Das Zimmer selbst war schmucklos, die Farbe an den Wänden abgeblättert, der Geruch etwa so intensiv wie jener in der Frittierküche eines Fastfood Restaurants, auf dem Boden lagen alte Deos und Wattenstäbchen. Wir entschieden uns, nur mit den Schuhen auf dem dreckigen Teppich rumzulaufen, mieden den Schrank, breiteten unsere Sachen stattdessen auf einem der zwei harten Doppelbetten aus und verzichteten der Umstände wegen sogar darauf, unsere tägliche Ration Rumpfbeugen und Liegestützen zu absolvieren. Als ich meinem Zürcher WG-Mitbewohner Roman von unseren ersten Eindrücken im Carter erzählte, googelte er das Hotel und hatte beunruhigende Neuigkeiten für uns: das Carter wurde in den letzten Jahren viermal in Folge zum „dirtiest hotel in the US“ gekührt. Hotelgäste haben in den zugewiesenen Zimmern neben liegengelassener Dreckwäsche und allerlei Ungeziefer auch schon mal eine Leiche gefunden. Als wir dann auch noch feststellten, dass das Carter nicht viel von Zimmerservice hält und man sich selbstständig um frische Badtücher und WC-Papier kümmern muss, checkten wir frühzeitig aus und siedelten für die letzten beiden gemeinsamen Nächte ins Pod-Hotel an der 51. Strasse. Die Flucht lohnte sich, das Pod Hotel war den Zusatzbatzen wert!
Um uns vom ersten Carter-Schreck zu erholen spazierten wir über die Brooklyn Bridge, bestaunten die Manhattan-Skyline im abendlichen Gegenlicht, gönnten uns im Dumbo-Quartier eine thin crust pizza und spazierten den nächtlichen Brooklyn Heights entlang…
Wir liessen uns vom Highspeed Lift des Rockefeller Centers auf die „Top of the Rocks“-Aussichtsplattform fahren und genossen die frischen Böhen hoch über den Dächern New Yorks…
Wir planten unsere restlichen New Yorker Tage bei einem guten Cappuccino im „European Cafe“, erwischten die Freiheitsstatue in ihrer Mittagspause, liessen uns vom Broadway-Musical „Mary Poppins“ begeistern, spazierten auf dem nächtlichen Times Square umher, statteten dem wunderschönen Lesesaal der New York Public Library einen Besuch ab und erwiesen George Washington unsere Ehre. Als Lückenfüller dient der Zettel, den ich nach Anninas Abreise an der Tür der Jazz on the Park Jugendherberge fand. Im „Jazz“ verbrachte ich die ersten sechs Nächte meines Amerika-Jahres. Nach neun Monaten wieder hierhin zu kommen, sich in die lärmige Jazz-Lobby zu setzen und darüber nachzudenken, was ich in der Zwischenzeit so alles erlebt habe, das wäre wohl ein wunderbar nostalgischer Moment geworden. Wie ich feststellen musste, gibt es das „Jazz on the Park“ leider aber gar nicht mehr. Die Jugi wurde geschlossen, weil das gesamte Haus nach Ansicht der New Yorker Baubehörden einsturzgefährdet ist. Na, da hab‘ ich ja nochmals Glück gehabt und im letzten August wohl gerade noch rechtzeitig ausgecheckt…
Wir spazierten durch Chinatown, wo einem kleine Chinesinnen alle fünf Meter „wana watch, bag, massage?“ ins Ohr flüstern und in ihre geheimen Keller- oder Estrichverliesse locken wollen. Schwarzarbeit lohnt sich in diesem Teil der Stadt. Der ganze Bezirk, schreibt der Merian Reiseführer, wird von kriminellen chinesischen Gangs kontrolliert, die von allen Läden horrende Schutzgelder verlangen und gnadenlos jedem ihren Kodex aufzwingen. Gemütlicher ist SoHo, das voll ist von teuren Boutiquen und witzigen Mini-Stores. Mein Favorit: der „Evolution Store“, in dem man vom Alligatorenkopf bis zu gewürzten Würmer-Snacks alles bekommt. Am dörflichsten aller New Yorker Stadtteile ist Greenwich Village, wo Efeu-bewachsene Treppengeländer zu den bemalten Türen kleiner Backsteinhäuser hinaufführen und man in den reflektierenden Schaufenstern der Strassencafés heimlich schöne Spaziergängerinnen beobachten kann…
New York, so scheint mir, ist besonders fotogen im Hochformat. Here you go…
Annina ist nach unserem vierwöchigen East Coast-Trip vergangene Woche nach Hause geflogen. Es war wunderschön und unvergesslich, einen Teil meines Amerikanischen Traumes gemeinsam mit meiner Freundin erleben zu dürfen. Und es war nicht ganz einfach, nach ihrer Abreise wieder alleine am JFK zu stehen, vor mir das weite Amerika und bei mir nichts als ein klappriger Subaru, der mich in den kommenden Wochen noch einmal quer durchs Land bringen soll.
Gelegen kam da mein nächster Besucher: the one and only Roman, mein fast schon „langjähriger“ WG-Mitbewohner, All-In-Drink-Mixer, Diskussionspartner, technischer Berater, Squash-Gegner, Chor-Nachbar und Jogging-Motivator. Roman und ich nahmen uns die Backstreets of New York vor und checkten im Pointe Plaza im Stadtteil Williamsburg ein, der vom Tourismus erst langsam entdeckt und momentan noch grossmehrheitlich von orthodoxen Juden bewohnt wird. Die Schulbusse und Einkaufsläden sind auf Hebräisch angeschrieben, die Milch im Kühlschrank der Hotel-Küche ist Kosher und der Service im Pointe Plaza einsame Klasse. Der kleine Hotellier am Pointe Plaza-Tresen gab uns zum Anfang gleich einmal ein Gratis-Upgrade: vom Zweierzimmer zur Luxus-Suite. Wir checkten ein und staunten nicht schlecht über den rund vier Meter hohen Riesenraum mit Flachbildschirm, grosszügiger Küche und einer massiven Fensterfront. Dass der Internetanschluss in unserem Zimmer nicht funktionierte, tat unserem jüdischen Gastgeber so leid, dass er umgehend einen Spezialisten kommen liess, der sich dem Problem annahm. Für die Zwischenzeit erhielten wir eine zweite Suite mit funktionierendem Internet-Anschluss. Das tägliche Frühstück mit einer kleinen Auswahl an Yoghurts, frischen Früchten, Kellogs Flöckli, Bagels, Toastbroten, Cookies und Teesorten war nicht minder begeisternd. Das Pointe Plaza ist ein wahrer Geheimtipp für New York-Reisende, da geben wir unser Wort drauf.
Eindrücke aus Williamsburg…
1) Unter der Williamsburg Bridge (kurz „Willy B“) haben sich in früheren Jahrhunderten tausende von Einwanderern aus der ganzen Welt angesiedelt und sorgten für die noch heute kulturell meist-durchmischte Bevölkerung eines einzelnen Stadtteils. 2) Im Greenwich Village trafen wir in einer Seitenstrasse auf Zach Galifianakis, den „Hangover“-Schauspieler, der eine Szene für die Serie „Bored to Death“ drehte. 3) An den Chelsea Piers ist ein hübsch mitanzusehnder architektonischer Wettbewerb im Gang…
Rooftop-Bars gehören zu New York wie die Dambach-Türme zur Villmerger Skyline. In meinen elf New Yorker Tagen habe ich drei davon besucht: „230 5th“ (danke Claudia Galliker!), „Le Bain“ und „Mad46“. Cocktail-Slurping auf New Yorks upper decks macht Spass, vor allem beim momentanen Dollar-Kurs…
Am letzten Tag unseres New York-Aufenthalts schauten wir beim „Ground Zero Museum Workshop“ in Chelsea vorbei. Ein sympathisches und anregendes kleines Museum mit Bildern und Artefakten der Anschläge auf das World Trade Center. Besonders beeindruckend ist die Uhr, die der Fotograf Marlon Suson in einem der eingestürzten Räume des WTCs fand. Sie blieb um 10.02.14 Uhr stehen, genau in jener Sekunde, in dem der zweite Turm in sich zusammenbrach…
This is it for now. Wir melden uns bald mit Berichten über einen Ort, an dem man sich so klein fühlt wie nirgends sonst und der – wie wir feststellten – äusserst inspirierend auf uns wirkt…
A bientôt…
Hallo Samuel
in jeder Hinsicht ist New York speziell und man muss es einfach gesehen und erlebt haben. Ground zero und was alles für Emotionen allgegenwärtig sind, kann ich nachvollziehen. Als ich dort war, protzten noch die Twin Tower und die Welt schien irgendwie in Ordnung.
Viel Spass und weitere interessante Momente über dem Teich
Liebe Grüsse
Ursula