Eigentlich trinke ich meinen Kaffee immer ohne Zucker. Doch als ich mich heute kurz vor Mitternacht hinsetzte, um euch über die Geschehnisse inside USA upzudaten, konnte ich den Sugar-Säckchen neben mir auf dem Hotel-Tischchen nicht widerstehen. Ich kippte mir reichlich Zucker und gesüsstes Milchpulver in meinen Pappbecher-Kaffee und schüttete mir die ganze klebrig-heisse Brühe noch vor dem ersten Schluck über meine frisch gewaschenen Hosen. Anyway, ich sitze wieder hier, ohne Kaffee, dafür frisch geduscht und gerade noch so wach, damit ich die klemmende Leertaste so fest „hauen“ kann, dass sie für die nötige Distanz zwischen den getippten Begriffen sorgt.
Der hohe Besuch, den ich im letzten Eintrag angekündet habe, ist am 8. April wohlbehalten in Miami angekommen. Es ist ein schönes Gefühl, solch hohen Besuch nach acht langen Monaten wieder zu sehen, sich gegenseitig austauschen zu können und das Abenteuer USA für eine Weile gemeinsam anzupacken. Annina und ich haben uns einen légèren Start gegönnt und die ersten Tage unserer gemeinsamen Reise jet-lag-ausschlafend (Jet Lags kann man auch ausschlafen, wenn man sie gar nicht hat), badend und essend in und um unsere Gemächer im Whitelaw Hotel inmitten von Miami Beach verbracht. Wir hätten ohnehin nicht in die aufgestylte Freak-Show entlang den Stränden von Miami gepasst, wo sich allerhand menschliche Extravaganz versammelt und sich gegenseitig demonstriert, wie unglaublich betörend und unwiderstehlich man ist. Einen Gang zurückschalten, ausspannen, sich auf die gemeinsame Reise freuen; das war „the thing to do“ für zwei verliebte Abenteurer im Body-Kult dominierten South Beach.
Zweite Station unseres East-Coast Roadtrips waren die Florida Keys; eine in den Golf von Mexiko herausragende Inselkette, übersät mit wunderbaren Stränden, Mangroven-Wäldern und Camping-Möglichkeiten. Wir genossen die warmen Ströme rund um die Keys, paddelten in gemieteten Kayaks und mit veralteten Karten durch die Mangroven-Labyrinthe von Marathon (und fanden nur dank einer zufällig an uns vorbeirudernden Gruppe Kayaker wieder aus dem Mangroven-Dickicht heraus) und wehrten uns so gut es ging gegen die tausenden Mücken, die uns des Nachts wundstachen. Wir genossen die friedlichen Beaches, unseren Campingplatz mit eigenem Meeranschluss (und einer Autobahnbrücke, die uns die Sicht auf den ansonsten perfekten Sonnenuntergang verdeckte) und unsere Begegnungen mit den Wildtieren der Keys: wir sahen hundsgrosse Key Deer (eine Art Mini-Hirsch), Waschbären, die sich an unseren nicht rechtzeitig abgewaschenen Esstöpfen labten und einen ziemlich beeindruckenden schwarzen Skorpion. Letzerer tauchte unverhofft aus unserem Campingfeuer auf und versuchte verzweifelt, der Hitze zu entkommen. Wir hatten Mitleid mit dem nicht gerade ungefährlichen Spinnentier und schmissen es samt glühendem Holzscheit weit weg ins Gestrüpp…
Von den Keys aus fuhren wir nordwärts Richtung Everglades National Park, wo wir mitten in der Nacht und ohne Vorwarnung auf dem Trail Winds Campground ankamen. Der Nacht-Wächter (ein dicker Amerikaner mit eigenem Golfchärreli, das seine Masse giebschend vor unserem Subaru her durch den nächtlichen Campingplatz hievte) zeigte uns die verfügbaren Spots. Von jenem direkt am See riet er uns ab: „because there’s an alligator in there, it’s relatively new and not used to humans yet. You never know, it might just creep into your tent at night.“ Vom zweiten Spot am Waldrand riet er uns ebenfalls ab, wegen dem Panther, den sie in den letzten Tagen mehrmals in jener Region des Campingplatzes gesichtet hätten. Und so landeten wir auf Spot Nummer drei, unter Bananen-Stauden und Tannenbäumen, weit weg von wildern Alligatoren und Panthern, dafür unmittelbar neben Russel, einem äusserst gesprächigen ü50 Solo-Camper, der uns keine Minute nach unserer Ankunft eine Kerze schenkte und uns während den folgenden vier Stunden mit einem einzigen kurzen Unterbruch aus seinem Leben als U-Boot-Bauer, Hobby-Taucher, Ex-Miliz, Vater, Alligatoren-Jäger, Emu-Besitzer, Drogenschmuggler und Waffennarr (laut eigenen Angaben besitzt er 23 Schiesswaffen, von denen er auch einige in seinem roten Ford Pick-Up mitführte) erzählte. Russell ist überzeugt davon, dass er ein Nachkomme von langhaarigen Riesen ist, die Nordamerika lange vor der Ankunft der Indianer-Stämme besiedelten. Er ist gerade dabei, seinen Wohnsitz von Florida nach Michigan zu verlegen, weil er glaubt, dass sich die Erde am 21. 12. 2012 ruckartig um 90 Grad drehen und die gesamte Küstenregion der USA verschluckt werden wird. Er hat uns vor den Schwarzen, den Latinos und den Chinesen gewarnt und uns von seiner Freundschaft mit den Campingplatzbesitzern erzählt: Der Trail Winds Campground wird von drei Brüdern geführt, die laut Russels Angaben alle wegen Mithilfe beim organisierten Drogenschmuggel mehrjährige Haftstrafen absassen, bevor sie sich entschieden, dem schmutzigen Geschäft den Rücken zu kehren und einen mehr als schmutzigen Campingplatz in den Everglades zu eröffnen. Russel erzählte uns von den weiten Hasch-Feldern, die es in den Everglades bis heute gäbe und die von schwerbewaffneten Privatarmeen streng bewacht würden. Er erzählte uns vom kleinen Privatzoo der drei Camping-Brüder, in dem diese allerlei Tiere zur Schau stellten, die sie eigenhändig in den Everglades gefangen hätten. Russel war spannend, unterhaltsam und anstrengend. Nicht ganz unglücklich waren wir, als Russel mitten im Abend einen Anruf erhielt und uns erzählte, er müsse morgen früh auschecken und seinen Sohn in Miami besuchen gehen…
Eindrücke aus den Everglades: 3) self-made Pancakes auf dem Lagerfeuer, Libellen, ein Fischadler (7), ein „Everglades Geier“ (8, wirklicher Name ist auch der Redaktion unbekannt) und eine nicht genauer bestimmte Schlange, die uns aus dem dichten Laubboden heraus anstarrte…
Die Mückenschwärme auf dem Campground, die Riesenkakerlaken im „Bathhouse“ und die kurligen Käuze auf den benachbarten Camp-Sites waren zwar durchaus schon wild genug. Wir liessen es uns aber nicht nehmen, dem Tipp von Annina’s Dumont-Reiseführer zu folgen, uns im Shark Valley zwei rostige Velos zu mieten und entlang dem Shark Valley River Ausschau nach Alligatoren, den eigentlichen Stars der Everglades, zu halten.
Unser Velo-Trip war Alligatoren-technisch ein voller Erfolg. Wir sahen riesige Exemplare der Urzeit-Echsen, die sich am Rand des Flusses sonnten, neu geborene Gater-Babys, die sich glucksend und schwadernd nach Schutz und Halt umschauten und einen böse-blickenden drei-Meter Gator, der genüsslich eine der zierlichen Gelbkopfschildkröten zermanschte: Natur in all ihrer Schönheit und Brutalität…
Achtung, ab hier wirds grausam genüsslich!
Nachdem uns Russel so ausführlich vom abenteuerlichen Treiben der drei Campingplatz-Brüder erzählte, schauten wir vor dem Auschecken in deren düsteren Privatzoo vorbei; der letzte Ort, an dem man als Wildtier enden möchte. Alligatoren, Schlangen, Echsen und Vögel werden auf viel zu engem Raum und in stickigen „Terrarien“ gehalten. Zoodirektor ist Jim, der uns in strengem Ton und mit schwer nachvollziehbarem Humor durch die düstere Terrarien-Welt führte, uns Schlangen, Spinnen, Alligatoren und Vögel in die Hände drückte und keinen Zweifel daran liess, dass er nicht viel Ahnung davon hat, wie man mit all den Tieren korrekterweise umzugehen hätte. Wir machten gute Miene zum bösen Spiel, kauften im Zoo-Shop ein paar ausgefallene Gator-Souvenirs und suchten schnellstmöglich das Weite. Einiges erfreulicher war unser Besuch in der „Big Cypress Gallery“, einer kleinen Foto-Gallerie von Clyde Butcher, dessen Landschafts-Bilder mich schon im Annenberg Space for Photography in Los Angeles begeisterten. Als Lückenfüller dient das kleinste Post Office der USA, an dem wir auf dem Weg an die Golf-Küste vorbeikamen…
Nach den wilden Zeiten in den Everglades zogen wir uns für ein paar gemütliche Tage auf Sanibel Island zurück. Die weltweit als geniale Muschel-Fundstelle bekannte Insel hat uns mit ihren Temperaturen in den hohen 90ern (um die 35 Grad Celsius) gelähmt und mit ihren endlosen Muschelstränden erfreut. Man achte auf unser selbstgemachtes Lunch-Menu. Daran dürften sich die Amerikaner getrost ein Vorbild nehmen…
Auf Annina’s Wunsch hin gönnten wir uns zum Abschluss unseres Sanibel Island-Tripps eine Inselrundfahrt mit einem motorisierten Schnellboot. Mit Rockmusik in den Ohren, starkem Wind in den Haaren und Meerwasser-Spritzern im Gesicht brausten wir um das Inselparadies, genossen das herrliche Wetter und staunten nicht schlecht über die Grossen Tümmler, die sich in den Bugwellen unseres Schnellbootes einfanden und sich scheinbar endlos lange dort „tümmelten“. Florida ist ganz schön wild. Daran zweifle ich nach den ersten Tagen in diesem Riesenstaat nicht mehr…
In weniger als drei Wochen sollten wir – laut Plan – in New York City am Flughafen stehen. Viel länger wollten wir uns daher nicht im South Florida High-Life sonnen, sondern machten uns gestern im umgeräumten Subaru (Annina’s Pack-Konzept hat inzwischen sogar mich überzeugt…) auf Richtung Norden. Auf einen Tipp von Russel hin machten wir Halt bei den Alexander Springs im Ocala National Forest in Zentral Florida. 20 Millionen Gallonen Frischwasser sprudeln jeden Tag aus den Höhlen am Grund des glasklaren Quell-Sees. Ein fantastischer Ort um zu Schwimmen, Schnorcheln und Chillen…
Unser heutiger Programmpunkt war das Atlantik-Städtchen Saint Augustine, die älteste nicht-indianische Ortschaft der USA. Ausser einem mässig beeindruckenden Fort aus dem 17. Jahrhundert stehen im „historic town“ kaum noch Bauten, die an alte Zeiten erinnern. Die Gassen sind vollgestopft mit Souvenir-Shops, Imbiss-Ständen und lauten Strassenmusikanten. Ein richtiges Altstadt-Feeling kommt nicht auf. Das „Oldest House of America“ (Bild 3) wurde 1996 total-renoviert und wirkte auf uns Europäer mit seinen knapp dreihundert Jährchen wenig beeindruckend. Witzigster Ort im Städtchen ist wohl das Holz-Schulhaus aus dem 19ten Jahrhundert, das mit schweren Eisenketten im Boden verankert ist, weil der Holzbau den Atlantik-Stürmen offenbar nicht immer standhalten konnte und bei starkem Wind ab und dann davonwehte…
Florida ist passé, wir sind heute Abend in St. Marys, Georgia angekommen. Morgen fahren wir für zwei Tage auf die Cumberland Islands National Seashore, eine der wenigen richtig wilden Regionen an der Ost-Küste. Wir freuen uns!
Macheds guet ond bes gly,
Annina & Samuel
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Ich mag euch und Russell. 🙂