Nicht schlecht, habe ich mir gedacht, als mir die alte Dame von der Reception mein Zimmer im „Budget Inn“ in Natchez, einer Kleinstadt am Louisiana-Ufer des Mississippi, zeigte. Ich wollte eigentlich billig absteigen, in einer Jugi oder auf einem Campingplatz. Doch hier in der Region gibt es weder noch. Und so checkte ich für gut 30 Dollar im Budget Inn ein, in ein Zimmer mit zwei grossen Doppelbetten, einem Flachbildfernseher, einem schönen Schreibtisch aus massivem Holz und einer wohl handgemachten Häkeldecke auf dem Fauteuil an der Wand gegenüber. Nicht schlecht, schon gar nicht für 30 Dollar. Im „Southern Food Restaurant“ auf der anderen Strassenseite holte ich mir einen Becher Kaffee. „One dolla, n‘ you be fine, baby“, lächelte mich die Verkäuferin an, als ich mein grosses Raiffeisen-Portmonnaie zückte, um zu bezahlen. Und so sitze ich mit billigem Kaffee in einem billigen Hotel an einem schönen Tisch, und erzähle euch mal wieder, was insideusa so alles abgeht. Ich habe mir in den vergangenen Tage viele Konzepte zu neuen Posts und Texten ausgedacht: „Kindom Go!“, „The Store“, „187 Days“ oder „Verzerrungen: eine Ideologie“; sie alle schlummern in meinem Hinterkopf und warten darauf, getippt und gepostet zu werden. Doch irgendwie ist mir in diesem gemütlichen Zimmer nicht zum Kritisieren zu Mute. Ich möchte mal wieder nett sein mit Amerika, und mal wieder schreiben, wie sehr es mir hier gefällt, und wie spannend dieses Land, dieses – wie ich in den vergangenen 10 Tagen erneut feststellen musste – unglaublich riesige Land ist.
Von Carlsbad, New Mexico aus trippte ich durch die unendliche Weite der West-Texanischen Wüste, durch riesige Steppen, vorbei an blinkenden Raststätten und mitten durch kleine, verwilderte Ortschaften. Roosevelt war eine dieser Ortschaften, in der ich mich auf Tipp meines GPS hin nach einer Tankstelle umschaute. Die Tankstelle, eine rostige Säule unter einem alten, sterbenden Baum, fand ich erst auf den zweiten Anlauf. „Prepaid“, stand auf einem handgeschriebenen Zettel. Ich schaute mich um, und ging über die Strasse zum einzigen Haus in der näheren Umgebung. Das Schreckmümpfeli „Die Tankstelle“ kam mir in den Sinn: ein Trucker, der an einer abgelegenen Tankstelle Halt macht, tanken will und dann in eine tödliche Falle gerät, als er ins Tankwart-Häuschen eintritt, um zu bezahlen. Doch das hier ist Texas, kein Schreckmümpfeli. Also ging ich rein und wurde von „Jim“ in seinem düsteren Restaurant/Tankstellenshop herzlich empfangen. Ich wolle nur tanken, sagte ich dem braungebrannten, langhaarigen Mann hinter der Theke, der mich daraufhin fast ein wenig enttäuscht anschaute. „Who are you, boy?“ „I’m Sam, from Switzerland.“ Die Enttäuschung wich aus Jims Gesicht. „I knew you ain’t Texan. Anyway“, er streckte mir strahlend seine Pranke hin: „I’m Jim, from Texas. Never left that place.“ Und so blieb ich ein Weilchen, erzählte Jim von meiner Reise und kaufte zu meinen 14 Gallonen Benzin zusätzlich ein Snickers. Menschen wie Jim, die mitten in der Wüste eine Tankstelle betreiben und in ihren düsteren Shacks freundlich ihre seltenen Kunden empfangen, muss man ja irgendwie unterstützen.
Tagesziel war San Antonio. Ich kannte die Stadt von meinem ersten US-Besuch 2006 und freute mich, wieder dorthin „zurückzukehren“. Die schäbige Jugi am Rande der Stadt, die mit allen üblen Jugi-Vorurteilen aufwartete (tote Kakerlaken im Badezimmer, „behaarte Matratzen“, betrunkene Bett-Nachbarn) war ein guter Grund, am nächsten Morgen früh aufzustehen und im Touristentempo „The Alamo“ (Monument zu Ehren der texanischen Freiheitskämpfer, die sich 1836 erfolgreich gegen die mexikanischen „Eindringlinge“ zur Wehr setzten), den Riverwalk und die engen Downtown-Schluchten abzuklappern.
Von „SanAn“ trippte ich nach Houston, um „my Texans“, bei denen ich im November Thanksgiving feierte, erneut einen Besuch abzustatten. Houston, diese an sich so unpersönliche Stadt, gefällt mir bei jedem Mal besser. Vielleicht liegt das an den Gold-Singletons („my Texans“), vielleicht am schönen Wetter, vielleicht an den Erinnerungen an meinen ersten Besuch in Amerika vor fünf Jahren, der mich hierhin führte. Wir schauten uns das Millionärs-Quartier „River Oaks“ und dessen Mega-Villen an, „testeten“ verschiedene neue Restaurants der Stadt, schauten bei der Küstenstadt Galveston vorbei und lauschten am Sonntagmorgen in einer der weltgrössten Kirchen, der Lakewood Church, den verführerischen Versprechen von Pastor Joel Osteen (mehr dazu bald in „The Store“)…
1) Energie und Christentum: zwei Dinge, die in Texas in Massen produziert und in noch grösserem Mass konsumiert werden; 2) Galveston, das nach dem Wirbelsturm Ike 2008 bis zu drei Metern unter Wasser stand; 3) Teddy-Bär Texan-Style, oder, e Riise-Bruno; 4) Ölbohrinseln prägen das Bild im Hafen von Galveston, der in vergangenen Jahrhunderten zur Anlauf- (oder besser, Einlauf-)stelle für Millionen von Menschen wurden, die dem Ruf der Freiheit folgten und aus allen heeren Ländern nach Amerika reisten; 5) zwischen den Ölplattformen kreuzen Riesenfrachter und Grosse Tümmler; 6) Ahoi!
Im Garten der Gold-Singletons knippsten wir ein paar „Familien-Bilder“, in genau derselben Konstellation wie vor fünf Jahren (nur ohne Lorenz Honegger). Damals hatte ich noch lange schwarze Haare und trug ein Manson-T-Shirt. 2011 sinds blonde kurze Haare und ein Beatles-Shirt. Man wird älter… Und, ja, diesen Werbe-Slogan der Bethabara Baptist Church möchte ich euch nicht vorenthalten. Mit freundlichen Grüssen aus dem „Bible Belt“ (Südstaaten von Texas bis Georgia). There’s more to come…
Von Houston aus ging die grosse Fahrt weiter. Ein bisschen crazy war das schon, aber wäg einisch. Einen Tag nach meiner Abfahrt aus dem Lonestar State stand ich in Atlanta, Georgia am Flughafen und holte Marco ab, meinen Mit-Schweizer aus NAU-Zeiten, der mich aus Arizona besuchen kam und mit dem ich ins Uni-Städtchen Athens fuhr, wo wir Stefan Risi aufgabelten. Stefan ist der dritte Schweizer, den die Uni Zürich für ein Jahr ins amerikanische Exil schickte. Zu Dritt machten wirs uns im Subaru gemütlich und nahmen uns die „Transit City“ Atlanta vor: The Lincoln Lawyer, die World of Coke (wo seit 1886 Cola gebraut wird), die University of Georgia (die 2010 den nationalen Preis als „best party college“ gewann), das weltgrösste Aquarium, die CNN-Headquarters, alte Villen, Wolkenkratzer (im sprichwörtlichen Sinne des Wortes) und eine Beinahe-Schiesserei während einem Mitternachts-Besuch im „Waffle House“ hielten uns drei Tage lang auf Trab…
Soweit mein heutiger Blog. Bald gibt’s mehr über Gott, Amerika und eine erschreckende Wildlife-Sichtung…
Bes gly ond macheds guet!
Hoi Samuel
„Beinahe-Schiesserei während einem Mitternachts-Besuch im „Waffle House“ hielten uns drei Tage lang auf Trab“… und wenns so richtig spannend wird, dann hörst du auf mit schreiben! Vielen Dank für die interessante Bettlektüre, es ist 23.33 Uhr und Zeit langsam aber sicher das Sandmännchen kommen zu lassen.
Liebe Grüsse
Ursula
Hallo Samuel,
habe erst jetzt Deinen Blog entdeckt und bin sehr interessiert an Deinen Berichten. Ich möchte gern nach und nach Deine Artikel „nachlesen“. Bei der Menge, wird das aber wohl eine ganze Weile in Anspruch nehmen. 😉
Ich wünsche Dir auf jeden Fall weiterhin alles Gute für Deine Reise und Deinen Aufenthalt in den USA!
lg Gabi