Äuu Äuuuuu!

Ich habe sie geliebt, die Gaston-Comics, die das alltägliche Treiben auf der Carlsen Verlags-Redaktion porträtieren und den Leser die Welt durch die müden Augen des ungeschicktesten Bürogehilfen der Comic-Geschichte mitverfolgen lassen. Die Stories sind aber nicht nur wegen dem patschigen Gaston ein Hit, sondern – mindestens für mich – auch nur schon wegen den onomatopoetischen (was für ein Wort) Lautbeschreibungen äusserst unterhaltsam: Giiiibsch, ROAR, Wrrumm und KNARRR, gross und dick und schräggestellt geschrieben, machen den Comic akustisch erfahrbar. Doch, wozu dieser Einstieg? Schliesslich bin ich weit weg von meiner ganz persönlichen Redaktionsgeschichte. Klar, ich vermisse es manchmal, das einsame Dasitzen in meinem Tagblatt-Zimmer, das nächtliche Vor-Sich-Hinschreiben, das Leserbrief-Korrigieren und das Kulturkalender-Erstellen. Aber nein, so schlimm ist meine Redaktions-Sehnsucht nicht, dass ich mich mit meinen Gedanken auf die Cartoon-Carlsen Redaktion flüchten müsste. Gaston kam mir ganz einfach deshalb in den Sinn, weil ich vor zwei Tagen kurz nach meiner Ankunft in Santa Cruz, Kalifornien, ein Geräusch hörte, das man wunderbar mit einem dieser Comic-Laute beschreiben kann: ÄuuÄuuuuu. So tönte es, in verschiedenen Tonlagen und Lautstärken, den ganzen Abend lang.

Zum „Stage-Setting“: nach einer langen Autofahrt von Bakersfield nach Santa Cruz habe ich in der wohl luxuriösesten Jugendherberge Nordamerikas eingecheckt und bin mit meiner Nikon losgezogen, um das abendliche Städtchen zu erkunden. Ich spazierte dem Strand entlang zum offenbar berühmten Surf Museum, das in einem alten Leuchtturm untergebracht ist, und von dem aus man wunderbar auf die umliegende Umgebung herabsieht. Von jenem Leuchtturm aus hat man eine fotografisch interessante Perspektive auf den Abendhimmel: die Meer-Wellen platschen einem schäumend ins Bild und geben der Aufnahme etwas ungewollt Explosives…

Berühmt wurde Santa Cruz Anfang des 20ten Jahrhunderts für seinen Boardwalk mit dem aufs Meer hinausführenden Holz-Pier. Boardwalk und Holzpier sind eine Art fest-installierte „Chöubi“ mit allerlei Achterbahnen, Gaming-Hallen, Popcorn-Häuschen und Seafood-Restaurants. Ein Ferienparadies für vom Weltkrieg heimkehrende Soldaten, für Arbeiter-Familien und all jene, die ihrem Alltag an der luftigen West Coast für ein paar funkelnde Tage entfliehen wollten. Tagsüber und mitten unter der Woche ist der Holzpier aber eher ein Ort der Entspannung. Gemütlich kann man den weiss gestrichenen Palisaden entlangspazieren, den Möven beim Davonfliegen zuschauen, sich auf einsame Holzbänkli setzen oder sich an einem der Stände für 20 Dollar ein neues Lieblings-T-Shirt kaufen…


Doch, dann ist da eben noch dieses Geräusch: ÄuuÄuuuu! ÄuuÄuuuu! Die ganze Zeit, dumpf grollend, laut schreiend, und von einer beängstigenden Lautstärke. Das Geräusch kommt von unter dem Pier, und wenn man sich über die Palisaden lehnt und auf die Holzbalken knapp über dem Meerwasser runterblickt, dann sieht man die Krachmacher: es sind See-Löwen, die sich hier in der geschützten Meereszone mit Fisch vollfressen und es danach den Amerikanern gleichtun und sich auf dem Pier entspannen. Ich habe noch nie zuvor einen Seelöwen in freier Wildbahn gesehen. Die Begegnung hat mich jedenfalls fasziniert. Zur Ergänzung (ich habe das bis vor Kurzem auch nicht gewusst): Seelöwen sind deutlich grösser als Seehunde, und sind die einzigen in der ganzen See-Löwen/Hunde/Kühe/Elefanten-Familie, die sichtbare Ohren haben…

Wer eher auf menschliches Geschrei steht, ist auf dem Boardwalk besser bedient. Hier herrscht Partytime, rund um die Uhr. Mit meinen neuen Foto-Basics und ein paar Blenden-Einstellungen habe ich versucht, die Moves der Bahnen einzufreezen… Die Holz-Achterbahn in der Mitte, der Great Dipper, ist seit 1924 ein National Historic Landmark of the United States. Seit über hundert Jahren bringt er Touristen zum Schreien und die Kassen zum Klingeln. Ich habe mir das nicht entgehen lassen. Und, die Fahrt war besser, als ich erwartet hatte…

In Santa Cruz selbst gibt es einige schöne Holz-Villen und San Francisco-esque Häuserzeilen, von deren gemütlich wirkenden Erker-Stuben aus man direkt hinunter auf den Pazifik sieht. Was es auch gibt sind Läden mit frischem Gemüse, frischem Fisch und frischen Preisen. Ich habe europäisch eingekauft und mir in der Hostel-Küche ein Lachs-Lauch-Meerrettich Risotto gekocht. In Santa Cruz, glaube ich, könnte ich leben. Nach dem ganzen, zwar wunderschönen, aber halt doch etwas amerikanisch-verstaubten Südwesten, weht hier an der Central Coast ein liberal-frischer Wind, und der Lebensstil scheint mir vertraut und sympathisch…

Am nächsten Tag habe ich beim Big Basin State Beach vorbigeschaut, Möven beobachtet und die längste Palme, die mir je begegnet ist, bestaunt, die da hoch oben im Wind schwankte und trotz ihrem massiven Stamm ziemlich zerbrechlich wirkte…


Mein Seelöwen-Erlebnis hat in mir die Lust auf Wildlife wieder geweckt. Ich habe mich umgehört und erfahren, dass im Ano Nuevo State Park 20 Meilen nördlich von Santa Cruz eine der weltgrössten Seeelefanten-Gruppen haust und dass in der momentanen Paarungszeit einiges los sei bei den Meerriesen. Ich machte mich auf den Weg und kam unterwegs bei der Swanton Berry Farm vorbei, ein Bauernhof, der die auf dem Highway 1 Vorbeibrausenden zum Verweilen und zum Konfi-Schlecken einlädt. Ich hielt, schleckte und kaufte, weil die Konfi (hausgemacht) herrlich schmeckte und ich fasziniert war vom Zahlungs-System im Bauernhofladen: bezahlen muss man selbst, die Kasse mit dem gesamten Wechselgeld steht offen dort. Und, Velofahrer kriegen einen 10-Prozent-Rabatt, aber nur wenn sie mit Helm unterwegs sind. Das ist doch irgendwie mehr als sympathisch…

Die Seeelefanten im Ano Nuevo State Park enttäuschten mich nicht. Hunderte lagen an den Stränden rum, räkelten sich in den Meerespfützen und gaben grunzende Geräusche von sich. Ein Typ in meiner Gruppe (man kann den Park nur auf geführten Walks erkunden) war überzeugt, dass die „Angry Bird“-Macher hierher kamen, um die Sounds für die Angry Bird-Schweinchen aufzuzeichnen. Anyway, die Seeelefanten waren super, auch wenn sie sich nicht (wie ich mir das heimlich wünschte) gegenseitig aneinander hochbäumten und mit ihren hässlichen Nasen aufeinander einprügelten. Die Paarungskämpfe waren offensichtlich vorüber. Es herrschte Chill-Zeit…



Ein trauriges Kapitel in der Seeelefanten Geschichte ist die hohe Sterblichkeit bei den Neugeborenen. Einmal von der Mutter getrennt (durch Wellen, aggressive Bullen etc.), finden sie nicht mehr zu ihrer Nahrungsquelle zurück und verhungern im trockenen Sand. Rund 80 Prozent überleben das erste Lebensjahr nicht. Das ist brutal mit anzusehen. Vor allem dann, wenn einem die sterbenden Tiere mit Hundeblick anstarren. Aber, das gehört wohl dazu, auch wenn ich Mühe hatte, dem tatenlos zuzuschauen…

Mit meinem State Park Ticket machte ich mich auf zum Point Lobos State Park, wo mich planschende Seehunde und schroffe Küstenlandschaften wieder etwas aufheiterten. Doch, auch hier spielt die Natur momentan in tristen Tönen. Von Dezember bis März lauern draussen in den Küstengewässern Weisse Haie auf die unerfahrenen Neugebohrenen und fressen sich an den fetten Tieren satt…

Unter „Wildlife Too“ könnte man die folgenden Bilder einordnen. Schliesslich müssen es nicht immer Seeelefanten oder Buckelwale sein. Auch Spatzen (oder Spatz-artige Vögel), Möven und Hamster sind wilde Tiere, die doch irgendwie etwas ganz Anmutiges an sich haben…

Ich breche auf gegen Süden. Los Angeles wartet nur darauf, mich mit seinem Lichtermeer wieder zu verschlingen und ganz klein zu machen. Ich will der Stadt ihren Spass gönnen…

Cya…

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