In The Shadow Of The Valley Of Death

1849, wenige Wochen nachdem die USA den Mexikanern Kalifornien „abgekauft“ haben, stiessen ein paar eifrige Goldgräber im neu zugekauften Gebiet auf Gold-Nuggets. Das hat amerikaweit ein „Go West“-Movement ausgelöst. Tausende zogen gegen Westen, geblendet vom Goldrausch, getrieben vom Reichtum, unerschrocken vor den Gefahren, die auf dem langen Weg an die Westküste lauerten. Ein Teil der angehenden Goldgräber bahnte sich seinen Weg durch die Region des heutigen Death Valley National Parks. Von den hunderten von Waggons, die sich auf diesem Weg nach Westen vorantasten wollten, schaffte es laut der Nationalpark-Broschüre ein einziger ans Ziel. Alle anderen blieben auf der Strecke, irgendwo in der Weite der erbarmungslosen Wüste. „Goodbye, Death Valley“, soll einer der Möchtegern-Goldgräber gerufen haben, bevor er rechts um kehrt machte und zurück gegen Osten zog. So will es die Legende, und so stehts überall an den Informationstafeln im Death Valley Nationalpark geschrieben.

Das Death Valley ist der grösste amerikanische Nationalpark ausserhalb Alaskas. Er ist mehr als doppelt so gross wie die Mojave Wüste, Heimat des tiefsten, des trockendsten und des heissesten Punktes Nordamerikas, Inspirationsquelle für eine Vielzahl von Künstlern (dazu später ein wenig mehr) und, wie ich nach drei Tagen zu sagen wage, ein in vielen Belangen faszinierender Ort. Ich habe im Tal des Todes Landschaften gesehen, von denen ich gar nicht wusste, dass es sie gibt…

Meinen ersten Halt im Death Valley machte ich am Dante’s View Point (viele Orte im Nationalpark haben ähnlich teuflische Namen, was irgendwie zur apokalyptischen Stimmung im Todestal beiträgt…). Vom Aussichtspunkt aus sieht man hinunter nach Badwater, dem mit -85.5 MüM tiefsten Punkt Nordamerikas. Von einer Salzkruste überzogen und völlig leblos wirkend sieht das Tal auf den ersten Blick doch irgendwie aus wie das Engadin an einem verschneiten Wintermorgen. Im Hintergrund auf Bild 2 sieht man die Spitze des Mount Whitney, dem höchsten Berg in den „Lower 48“ (alle US Staaten ausser Hawaii und Alaska). Den tiefsten und den höchsten Punkt der USA auf einem Bild; speziell, oder?

Der „Artist Drive“ führt durch einen gold-gelb-braun schimmernden Canyon, der stellenweise an die Malpalette eines Künstlers erinnert. Apropos Kunst: Marilyn Manson, das musikalische Idol meiner Teenager-Jahre, hat in seinen wilden Zeiten einen sehr schönen Song mit dem Titel „In The Shadow Of The Valley Of Death“ eingespielt (den kann man sich hier anhören). Beim Betrachten des zweiten Bildes kam mir das Lied plötzlich in den Sinn. Obwohl, hier wäre eine Titeländerung angebracht: „I’m The Shadow In The Valley Of Death“…

Am Zabriskie Point wollte ich mir den Sonnenuntergang anschauen. Ich kam zu spät, die Fotografen hatten ihre Stative bereits eingepackt und die Touristen fuhren in ihren Wohnwagen davon. Niemand blieb, um den Mondaufgang zu bewundern. Den hatte ich ganz für mich alleine. Habt ihr schon mal den aufgehenden Mond zu fotografieren versucht? Gar nicht so einfach. Man muss sich entscheiden: entweder überbelichteter Mond mit verfärbten Wolken und Landschaftskontrasten, oder richtig belichteter Mond mit Konturen, dafür keine verfärbten Wolken und Landschaftskontraste. Beides zusammen geht nicht (oder doch?). Ich habe zur Selbst-Beruhigung bei einer Kunst-Ikone nachgeschlagen: Caspar Friedrich ging dem Problem auf seinem wunderschönen Bild „Mondaufgang am Meer“ elegant aus dem Weg: bei Friedrich wird der aufgehende Mond von den umgebenden Wolken verdeckt. Offenbar war er sich dem Licht-Kontur-Komplex bewusst…

Am zweiten Tag im Death Valley schlüpfte ich in meine Wandersocken und schaute bei den Mesquite Dünen vorbei. Kurz nach dem Trailbeginn habe ich einer Gruppe Asiaten (wahrscheinlich Japaner) zugeschaut, die einer nach dem anderen auf einem Plastikschlitten die Dünen runterrutschten und dabei laut vor sich hinschrien. Ich habe mir ein paar Gedanken zum Reiseverhalten verschiedener Kulturgruppen gemacht und bin zu einem spannenden Schluss gekommen, den ich aber noch überprüfen möchte, bevor ich ihn laut rausposaune…

Zur Abkühlung zwängte ich mich im Anschluss durch den „Mosaic Canyon“, dessen Namen jeder beim Betrachten der Canyonwände selbst erraten könnte. Ich kam bei einem behaarten Strauch vorbei, über den ich später in einer Broschüre las, dass er Salz speichern und „veräussern“ kann. Die Salkristalle auf den Blätten reflektieren dann das Sonnenlicht und kühlen die Pflanze in der glühenden Wüstenhitze ab. Genial, nicht? Ich hätte die Pflanze gerne meinen mormonischen Freunden auf Oahu gezeigt. Ein besseres Beispiel für die evolutionäre Anpassung von „Lebewesen“ an eine neue Umgebung gibt es wohl kaum…


Der „Salt Creek“ ist laut dem zuständigen Parkranger rund zehn Mal salziger als der Pazifik. Ich kniete mich am Trailrand zu dem Bächlein runter und nahm einen Zipp. Es war scheusslich salzig! Die Pflanzen entlang des Bächleins sind allesamt von einer salzigen Kristallschicht überzogen, was wiederum irgendwie sehr lieblich wirkt. Im Bach selbst leben die „Puppyfish“. Der Fisch ist von der zäheren Sorte: er lebt in den salzigsten Gewässern der Welt, hält Temperaturen vom Gefrierpunkt bis zu rund 40 Grad Celsius aus und muss ständig aktiv Wasser filtern, um nicht zu verdursten (nicht wie die allermeisten anderen Fischarten, die automatisch Wasser über ihre Haut aufnehmen können).

Der „Gower Gulch“-Wanderweg führte mich zuerst durch den „Gold Canyon“, dann über die „Badlands“ unterhalb des Zabriskie Points und schliesslich hinaus in die nur in dieser Jahreszeit begehbare karge Weite des Panamint Valleys. Die „Badlands“ sind ein Zwischending zwischen Stein und vertrockneter Erde. Geologen könnten das wohl eleganter formulieren. Auf jeden Fall sind sie faszinierend, und im Nachmittagslicht wunderschön anzuschauen…



Auf dem Weg nach „Badwater“ kommt man am „Devil’s Golf Course“ vorbei: ein riesiges Salzfeld, das von Weitem an einen verschneiten, aufgewühlten Acker erinnert. Die Salkristalle, die den Boden hier überziehen, sind messerscharf und steinhart. Wer hier barfuss eine Runde dreht, dem spendiere ich mal irgendwo irgendwas…

„Badwater“ selbst ist eigentlich nichts ausser ein Schild, auf dem „Badwater Basin“ und eine Höhen (bzw. Tiefen-) Angabe steht. Kein Haus, nichts. Grund dafür ist wohl die eher ungemütlich Temperaturkurve des Ortes: im Winter wird es hier bis zu Minus 20 Grad kalt. Im Sommer klettert das Termometer auf bis zu 137 Grad Fahrenheit (58 Grad Celsius). In einer Beschreibung eines Park Rangers heisst es, dass im Sommer regelmässig Vögel beobachtet werden, die über die salzige Weite rund um Badwater fliegen und im Flug tot vom Himmel fallen. Trotzdem: im Februar ist es hier angenehm kühl, und die Salzkristalle lassen sich ganz ohne Hitzekollaps oder Kältefrost bewundern…


Die zweite Nacht meines Death Valley Trips verbrachte ich in Beatty, einer kleinen Ortschaft am nordöstlichen Rand des Nationalparks, auf der Grenze zur Area 51, der berühmt-berüchtigten militärischen Sperrzone, wo die US Army in den 40er Jahren hunderte atomare Sprengsätze zündete (zu Testzwecken) und laut einigen Fantasten Aliens gefangen hält. Wer den Film „Hills Have Eyes“ gesehen hat: er spielt hier, genau hier… Anyway, Grund meines Besuches in Beatty waren nicht die Aliens, nicht die Area 51 und nicht die mutierten Mörder von „Hills Have Eyes“, sondern Bailey’s Hot Spring RV Park. Der Campingplatz wird in meinem Lonelyplanet erwähnt, weil er nebst dem üblichen Camping Zubehör drei antike Häuschen mit heissen Quellenbädern bietet. Die wollte ich mir im leicht frostigen Winter nicht entgehen lassen. Der Trailerpark (Bild 1) war an sich nichts Besonderes; die Quellenbäder aber sind die Reise wert! Wenn ihr mal in der Region seid; schaut bei Bailey vorbei. Das heisse Bad (für 30 Minuten kriegt man ein eigenes Häuschen, umsonst) ist Wellness vom Feinsten! White Trash Highlife, sozusagen. Betrieben wird der RV Park von einem mürrischen Shoshonen, dem ich am nächsten Morgen erzählt habe, dass seine heissen Quellen in meinem Reiseführer gelobt werden, und der mir danach mit völlig veränderter Miene eine zweite Gratis-Halbstunde anbot, die ich natürlich nicht ausschlug. Beatty ist aber auch abgesehen vom heissen Badespass ein witziges Städtchen. Vom einstigen Minen-Reichtum und Goldrausch ist nicht mehr viel zu spüren. Die Gegend scheint verarmt und verschlafen. Letzteres bestätigte mir das riesige Schild gleich nach dem Ortseingang (Bild 2), auf dem auf die „Beatty Days“ Ende Oktober hingewiesen wird. Wahrscheinlich hat sich niemand die Mühe machen wollen, das Plakat abzumontieren. Und so hängt es da, und sorgt dafür, dass auch ja niemand vergisst, in neun Monaten rechtzeitig wieder in Festlaune zu kommen. Spannend war auch mein Besuch im „Beatty Museum“ (Bild 3). Das Museum hat zwar ausstellungstechnisch nichts zu bieten, aber das Ausstellungs-Konzept ist erwähnenswert: man hat einfach alles irgendwie in den mit Neonröhren grell erleuchteten Raum gestellt, irgendwie, irgendwohin. Braunbären, Stoffpuppen, Armeeabzeichen, eine Lederjacke von 1850 und unbetitelte Familienfotos hängen, stehen und sitzen da, einfach so, einfach so. Der Typ an der Kasse hat mich darauf hingewiesen, dass das Beatty Museum ein „Hands Off“-Museum sei, dass man also nichts berühren darf, weil die meisten Ausstellungsgegenstände geliehen seien. Ich bin mir beinahe sicher, dass die „Ausstellung“ die Leihfrist überdauern wird: niemand wird seinen Grümpel hier je wieder abholen. Das wäre irgendwie aber auch schade. Beatty verlöre dann sein kulturelles Highlight. Das Museum wurde 2010 nämlich mit dem „Beatty Cultural Development Award“ ausgezeichnet. Zu recht!

Künstlerisch wertvoller schien mir die Freilicht-Ausstellung in Rhyolite, einem Ghost Town am anderen Ende einer sehrsehr langen Strasse, die von Beatty zurück ins Death Valley führt. Hier, mitten in der Wüste, sind verschiedene Schöpfungen des belgischen Künstlers Albert Szukalski ausgestellt. Weshalb ist mir schleierhaft. Aber eben… Hauptattraktion von Rhyolite ist das „Bottle House“: ein Wohnheim, das in den 1860er Jahren mit etwas Zement und gut 30’000 leeren Bierflaschen erbaut wurde. Jay, der hier bis Ende April als einziger Bewohner haust und die Geisterstadt verwaltet, erklärte mir, dass das ein gängiges Baukonzept im südlichen Nevada gewesen sei, weil sich damit offenbar die Temperatur im Haus sehr viel besser regulieren liess als mit blossen Holzwänden…


Meine letzte Wanderung im Death Valley führte mich zu den „Darwin Falls“. Sie sind die einzige Süsswasserquelle im ganzen Nationalpark und verwandeln „ihr“ Tal in eine grüne Oase voller Bäume, Sträucher – und offenbar Dachse… Es war faszinierend, nach vier Tagen in der Wüste plötzlich in einem Tal zu stehen, das sich bezüglich Fauna und Flora so krass von all den anderen Tälern unterschied, und alles nur wegen ein bisschen Wasser…

Das Death Valley liegt hinter mir. Vor mir liegen ein paar Tage in Southern California. Viel künstliches Licht, Lärm und Getümmel stehen bevor. Doch, etwas sehr Spezielles habe ich auch hier bereits entdeckt. Das heisst, bisher habe ich es nur gehört, noch nicht gesehen. Aber, das werde ich ändern…

Bes gly, ond macheds guet…

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Eine Antwort zu In The Shadow Of The Valley Of Death

  1. Ursula schreibt:

    Hoi Samuel
    ist diese Sitzgelegenheit im Death Valley???? Könnte auch auf dem Mond stehen…
    Sind wieder mal ganz tolle Aufnahmen! Freue mich, das „Spezielle“ dann zu lesen.
    Liebe Grüsse
    Ursula

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