I’m back down South. Wenn man’s genau nimmt ist dieser Titel natürlich irreführend. Von Honolulu aus flog ich ein ganzes Stück nordwärts, um nach Phoenix zu gelangen. Und doch fühlt sich Arizona so an, wie sich „down South“ anfühlen muss; strahlendes Wetter, angriffige Patrioten und Lippen-aufspaltende Trockenheit: von alldem habe ich in den letzten Tagen etwas mitbekommen. Doch, starten möchte ich mit einem kleinen Backflash nach Honolulu, wo ich meinen letzten hawaiianischen Tag verbracht habe. Ich bin rumflaniert, habe mir in der Marriott-Bar einen Mai Tai bestellt – genau wie vor vier Wochen, als ich meinen ersten hawaiianischen Abend mit demselben Drink in derselben Bar beging – und habe ein letztes Mal die hier so wundervoll untergehende Sonne bestaunt. Und, auch der letzte Sonnenuntergang war für sich ganz speziell. Es schien, als verschlucke der Pazifik den glühenden Feuerball in seinem tiefen Schlund… Als Lückenfüller dient ein Gekko, den ich am Abend zuvor bei Bubba Gump Shrimps an der Wand entdeckte, und der sich offenbar (und fälschlicherweise) sehr „getarnt“ vorkam. Er hat sich auf jeden Fall keinen Deut bewegt, als ich mich ihm bis auf wenige Zentimeter näherte…
Die Reise zurück aufs Festland dauerte länger als geplant, da wir nicht über Süd-Kalifornien fliegen konnten. Die US Airforce hatte den betreffenden Luftraum für eine Flugübung gesperrt. Der gesamte Zivilverkehr wurde nach Norden umgeleitet. Es erstaunt mich immer wieder, wie bestimmend der Wille militärischer Organisationen in diesem Land ist. Die Navy, die Airforce und die Army haben allererste Priorität, alles andere wird hinten angestellt. Das mag seinen Sinn haben. Ganz eingesehen habe ich ihn bisher aber noch nicht. Anyway, ich schlief den ganzen Flug durch auf meinem aufblasbaren Nackechössi und war an sich froh über die zusätzliche Reise-Stunde.
Der Empfang in Flagstaff war eisig und herzlich; eisig, weil es hier trotz wenig Schnee noch immer tiefer Winter ist und man sich warm anziehen muss, wenn man aus der geheizten Jugendherberge an die frische Luft raus will; herzlich, weil das Zusammensein mit den hier verbliebenen Austauschstudenten des letzten Semesters sowas wie Heimatgefühle aufkommen lässt. Es ist schön, wieder bei Glenn in der warmen Stube zu sitzen, gemeinsam mit den Aussies und Briten im Buffalo Wild Wings das Super Bowl Spiel mitzuverfolgen (und die Wette gegen die Briten zu verlieren, weil man zu viel Vertrauen in den Quarterback der Pittsburgh Steelers, Ben Roethlisberger, hat, weil der doch schliesslich Schweizer Wurzeln hat) oder mit meinem Mit-Ausland-Schweizer Marco stundenlang bei Kaffee und Scones über das Wegsein, die Heimat und das Weltgeschehen zu diskutieren.
Bevor ich aber wieder ins Campusleben eintauchte, schaute ich nach meiner Ankunft zu allererst bei Tim vorbei. Tim hatte mir vor meiner Abreise nach Hawaii versprochen, dass mein Subaru bis zu meiner Rückkehr repariert und ready to go sei. Ich war etwas nervös, als ich mich zu Fuss zu Tim’s Garage aufmachte und hoffte, dass die Auto-Geschichte ein gutes Ende nehmen würde. Tim begrüsste mich mit einem breiten Strahlen: „Boy, you must have done something good in your life“, meinte er, und erzählte mir von meinem Glück: anstatt den gebrauchten 77’000 Meilen Motor hatte ihm Subaru einen gut 40’000 Meilen Motor geschickt, der von den Subaru Technikern komplett überarbeitet und mit allerlei neuen Komponenten ausgerüstet wurde. Der Motor ist, wie mir Tim erklärte, trotz seiner 40’000 Meilen daher neuwertig, und, er hat eine sechsmonatige Replacement-Garantie. Einen Aufpreis verlangte Tim dafür nicht. Das Auto läuft wieder einwandfrei, und die Replacement-Garantie fühlt sich auch ganz gut an. Ende gut, alles gut; mindestens vorläufig…
In meiner Jugendherberge, dem Grand Canyon Hostel gleich neben dem Amtrak Bahnhof, habe ich Eiric aus Norwegen kennengelernt. Eiric reist ein paar Wochen alleine durch die USA und hat mir ganz begeistert von seinem Besuch am Grand Canyon erzählt. Leute, die Natur und Wildnis zu schätzen wissen, sind mir in letzter Zeit äusserst sympathisch. Und weil Eiric für den kommenden Tag noch keine Pläne hatte, setzten wir uns ins Auto und fuhren ostwärts zum Petrified Forest National Park. Hauptattraktion des Parks sind die Bäume, die hier während Millionen von Jahren durch diverse Prozesse versteinert wurden und nun in allen Farben unter der warmen Wüstensonne vor sich hinleuchten. Eine 30-Meilen Rundfahrt und etliche kurze Hikes führen vorbei an Orten mit verlockenden Namen wie „Crystal Forest“, „Newspaper Rock“ oder „Blue Mesa“. Dieser Park ist ganz einfach faszinierend…
Versteinerte Bäume (petrified wood) liegen überall im Park herum, in allen Formen, Farben und Variationen…
Die Wüste des Nationalparks ist ein Beispiel dafür, wie schön Trockenheit sein kann…
Sandige Weiten, den strahlenden Himmel und einsame Raben haben wir gesehen…
Die zweite Hauptattraktion neben dem Petrified Forest ist die Painted Desert: eine hüglige Landschaft, deren einzelne Sedimentschichten verschieden eingefärbt sind und die daher aussieht, als hätte sie jemand angemalt…
Im Gebiet der Blue Mesa haben Eiric und ich geparkt, um uns den Sonnenuntergang anzuschauen. Unsere Foto-Session wurde aber unsanft unterbrochen, von einem Polizeiwagen, der mit Blaulicht hinter meinem Subaru stoppte. Der Officer blickte uns streng an und wollte wissen, was wir hier machten. Fotografieren, den Sonnenuntergang geniessen, antwortete ich. Der Park sei seit über einer halben Stunde geschlossen, raunte der Polizist. Wir sollen uns in unser Auto setzen und ohne Stopp zum Ausgang fahren. „Pictures only out of the car, and only at speed limit!“ Dass man einen Nationalpark um 5 Uhr schliesst, noch vor Sonnenuntergang, wenn die Farben der Wüste doch am schönsten leuchten, das verstehe ich nicht. Trotzdem fügten wir uns dem Gesetz, machten ein letztes Foto vom eindunkelnden Himmel und brausten zum Ausgang, at speed limit!
Das Abendlicht genossen wir vom Parkplatz einer Highway-Raststätte aus. Enttäuscht hat es uns nicht. Wer findet den Mond?…
Eine weitere Begegnung im Petrified Forest National Park hat mir an diesem Tag zu denken gegeben: auf unserem Hike durch den Crystal Forest erzählte ich Eiric von der Waffeninitiative und von jenen politischen Bewegungen in der Schweiz, die das Land gerne waffenfrei und ohne Armee sähen. „The anti-weapon movement is supported by a considerable number of people“, sagte ich, genau in jenem Moment als wir an einem etwa 40-jährigen Käppi-Träger vorbeikamen, der sich zu mir umdrehte, mich kampfbereit anstarrte und schrie: „Anti-weapon movement, eh?! Anti-weapon movement?! We Americans are just afraid to show you fucking third world countries how to use them! Better shut your mouth and go back to your fucking third world!“ Ich habe einen bestimmten Schritt auf den Mann zu gemacht, und Eiric hat laut gelacht. Dann machte ich Halt, und wünschte dem Mann einen schönen Tag. Die Schweiz, das Drittwelt Land, wo Menschen darüber abstimmen dürfen, welchen Stellenwert Schusswaffen in der Gesellschaft haben sollen. Die Schweiz, das Drittwelt Land, wo nicht jeder mit einem Schusseisen rumspaziert, wo es im Supermarkt keine Patronen zu kaufen gibt, wo man sich auch ohne Sturmgewehr unter dem Bett sicher fühlen kann. Einen kurzen Moment lang war ich stolz, aus diesem Drittwelt Land zu stammen. Ich war stolz auf dieses „Anti-Weapon Movement“, und ich hätte das Weltbild dieses Menschen gerne korrigiert. Doch Eiric sagte laut, ich solle mich nicht bemühen, das hier sei ein „lost case“. Wir drehten uns um und hikten weiter. Ein Norweger und ein Schweizer, zwei Drittwelt-Ländler in einer hochentwickelten Nation, die sich nicht die Mühe zu machen braucht, über ihre eigene Gangart nachzudenken, weil sie schliesslich richtig liegt! Manchmal tut mir dieses Land leid.
Lieber Samuel
Seit ich Zeit habe, verfolge ich deine Berichte mit viel Vergnügen und Spannung. Die Geschichte über das Antiweaponmovement im Drittweltland zeugt einmal mehr von der grossen Ignoranz und macht einmal mehr nachdenklich….
Wenn du heute morgen in deinem super gepackten Subaru losfährst, begleitet dich vielleicht ein Pioniergefühl, wie die Menschen vor 200 Jahren, die gegen Westen aufbrachen. Ich wünsche dir jedenfalls eine tolle Reise und dass ein Schutzengel dich begleite.
Freue mich dann auch wieder auf News.
Herzlich
Corinna