„Lass von dir hören, es braucht ja nicht gerade eine gut überstandene Horrorgeschichte zu sein.“ Mit diesen nett gemeinten Worten haben sich meine Eltern aus den Weihnachtsferien bei mir gemeldet. Doch manchmal kommt alles anders, als man denkt. Sehr anders. Und wenn meine heutige Story nicht ganz zur „Horrorgeschichte“ taugt, dann mindestens fast. Aber dazu später.
Zwei Wochen ist es her, seit ich mich per Blog gemeldet habe. Eine unverschämt lange Wartezeit; tut mir leid. Nur, es war eben doch ganz schön viel los hier drüben. Zuerst waren da die Abschlussprüfungen an der NAU, die ich – wenn mir der Kommentar erlaubt ist – mit Bestnoten bestanden habe. „Mr. Switzerland, you’re discriminating“, sagte Professor Amundson bei der Schlussbesprechung seiner beiden Kurse in ernstem Ton zu mir. „How’s that“, fragte ich verwundert zurück. „Cause you came over here from a land far away and outacted all Americans!“ Das hat irgendwie gut getan. Und wenn mir jemand einen Fünfliber für das schöne Abschlusszeugnis schicken will; nur zu! Aber, genug des Selbstlobs, hin zum vergnüglichen Teil der Story.
Seit gut einer Woche bin ich mit Christian, einem alten Schulfreund aus Bezzeiten, on the Road. Unser Plan war und ist es, von Las Vegas durch Southern Utah, Arizona ond Southern California nach Los Angeles zu reisen, wo wir aufs neue Jahr anstossen wollen, bevor ich dann am 1.1.2011 für ein paar Tage ins eisige Toronto fliegen werde. Im Folgenden ein paar Bilder unserer vergangenen Reisestationen, und eine Geschichte, wie sie (mindestens für uns) horrorhafter kaum sein könnte…
Erste Station war Las Vegas, wo wir im Caesar’s Palace genächtigt, in einem sündhaft teuren Japanischen Restaurant Znacht gegessen und in der „minus5bar“ inmitten eisiger Skulpturen und aus Eis-gefertigten Gläsern ein paar Drinks schlürften. Gegambelt haben wir diesmal nichts, also nichts mit Fifty on Black oder Hütchenspiel. Dafür schauten wir in der Galerie von Peter Lik vorbei, dessen Landschaftsfotografien atemberaubend und pro Bildabzug um die 250’000 Dollar teuer sind.
Zweite Station war die Mormonen Stadt Colorado City im nördlichsten Ecken Arizonas. Am Flagstaff Mountain Film Festival hatte ich vor ein paar Monaten den Film „Sons of Perdition“ gesehen, der die Geschichte von drei Teenagern erzählt, die aus den Fängen der von einer mormonischen Sekte dominierten Stadt entflohen sind und sich in der „freien Welt“ zurechtzufinden versuchen. Die Strassen im beängstigenden Colorado City waren leer und unglaublich breit (so breit, dass ein Ochsenkarren mit einem Achtergespann problemlos wenden kann: ein architektonisches Kriterium jeder amerikanischen Mormonen-Stadt). Die wenigen Leute, die wir auf den Gehsteigen sahen (und unerlaubterweise mit Teleobjektiv fotografierten) waren ohne Ausnahme in altmodisch-keusche Kleider verhüllt. Der Gedanke daran, dass ein Grossteil dieser Menschen in polygamen Familien lebt, dass in dieser Stadt 12-jährige Mädchen mit 60-jährigen Männern zwangsverheiratet werden und dass Knaben im Kleinkindalter in der Wüste ausgesetzt werden, weil sie als Konkurrenten für die anderen Männer gelten, hat uns schockiert.
Unser erstes grosses Reiseziel, den Zion National Park in Utah, mussten wir leider grossräumig umfahren. Southern Utah (darüber hat sogar das SF berichtet) war in jenen Tagen im „state of immediate emergency“, wie uns eine leicht erzürnte Rangerin am Nationalpark Eingang zuzischte. Ihren Tipp, sofort ein Hotel aufzusuchen und uns für ein paar Tage darin zu verschanzen, missachteten wir und reisten weiter durch das verregnete und mancherorts überflutete Utah. Angst vor Regen? Not a Swiss thing, wie wir erfuhren, als wir ausserhalb der Ortschaft Panguitch auf einen alten Militär-Laster mit Aargauer Nummernschildern stiessen. Das nicht eben gesprächige Ehepaar erklärte uns kurz und knapp, dass sie aus Baden seien und für „es paar Jahr“ durch das Land reisen würden.
Etwas besser waren die Verhältnisse im Bryce Canyon Nationalpark. Der war offen, leider aber so stark zugeschneit, dass wir die wunderschönen Steinsäulen, die wir von Fotos her kannten, nicht zu Gesicht bekamen. Für ein paar Schneebälle und weihnächtliches Schneerieseln hats dennoch gereicht.
Besser war das Wetter in Page, Arizona, wo wir den Horseshoe Bend besuchten (und den legendären Sprung – mit verschiedenen Sprungtechniken – erneut meisterten [nein, kein Fake!]) und uns durch den Antelope Canyon Tribal Park schlängelten.
Eine geniale Aussicht bot die Fahrt zum Natural Bridges National Monument in Utah, das wir uns als Weihnachtsausflug aussuchten, und das mit beeindruckenden natürlichen Steinbrücken und felsigen Canyons lockt. Der schwarze Punkt auf dem letzen Bild, da in der Mitte, oben auf der „natural bridge“? Ja, das könnte jemand mit einem schwarzen Pulli sein…
Bevor wir für Heiligabend hinunter nach Flagstaff fuhren, machten wir Halt beim Monument Valley, das uns vor allem mit den kurligen Felstürmen in seinem Hinterland beeindruckte. Ob das am weihnächtlichen Besuchsdatum lag, oder an unserer wilden Fantasie; jedenfalls erkannten wir in den Felsformationen zahlreiche Krippenfiguren, Jesusse (oder Jesüsser? / der wohnt also nicht „behind the couch“, wie wir immer meinten, Juli, sondern im Monument Valley!) und Marienstatuen. Für feierliche Stimmung sorgte am Abend der geniale Pocket-Adventskranz, den mir meine Freundin geschenkt hat.
Wenn man zu Weihnachten von einem zukünftigen Swiss Piloten besucht wird, dachte ich mir, dann muss man ihm etwas Sepzielles bieten. Ich habe Chregi deshalb zu einem Rundflug in einem Kleinflugzeug über den Grand Canyon eingeladen. Am 26.12. hoben wir vom Flughafen am South Rim ab und kurvten für eine knappe Stunde über die atemberaubende Abendlandschaft des Grand Canyons. Es hat sich gelohnt, und es hat in mir wieder diese Lust geweckt, den Canyon nicht nur von oben, sondern bald auch Mal von Innen erkunden zu können. On verra…
Und nun zu jener Geschichte, von der es mir lieber wäre, ich müsste sie nicht erzählen: nach unserem Rundflug über dem Canyon haben wir uns in den vollbepackten Subaru gesetzt und sind gut gelaunt und voller wunderbarer Eindrücke Richtung Kingman losgefahren, wo wir über Nacht bleiben wollten, um anderntags über Lake Havasu City nach Kalifornien zu reisen. Geschätzte zehn Meilen vor Kingman, auf einem einsamen Abschnitt der I-40, machte der Subaru urplötzlich mit lautem, rhythmischen Klicken und Klopfen auf sich aufmerksam. Wir hielten an, kontrollierten mit zwei fachmännischen und zwei nicht-fachmännischen Augen den Motor, füllten zur Sicherheit Öl nach und fuhren unter lautem Protest des Subarus zum nächsten Hotel, wo wir den kränkelnden Wagen etwas beunruhigt abstellten und eincheckten. Heute Morgen dann brachten wir den Subaru zu D&S Auto Repairs ein paar Blocks weiter die Strasse runter. Mürrisch empfing uns Floyd in seinem Büro, schnauzte uns mit „Close the Door!“ an und machte uns darauf aufmerksam, dass er seine Zeit gar nicht erst mit uns verschwenden wolle, falls wir terminlichen Druck machen würden. Wir namens gelassen, setzten uns aufs staubige Sofa und überliessen unseren Subaru dem murrenden Floyd zur Inspektion. Nach nicht einmal 5 Minuten kam er zurück ins Büro, mit ernstem Blick. Sein Kommentar: „This vehicle is about to die. You either have to trade it, or get a new engine.“
Damit hatte ich nicht gerechnet. Monatelange Suche, Testfahrt um Testfahrt, Verhandlungen mit Gus und Papierkrieg mit GEICO, neue Reifen und Scheibenwischer, und jetzt das. Der Subaru, mein stolzes Ergebnis einer anstrengenden und zeitraubenden Suche, stirbt. Und das ganz am Anfang meiner grossen Reise, inmitten von Arizonas Wüste. „Where do you guys wanna go?“, riss mich Floyd aus meinen tristen Gedanken. „LA.“ – „Forget LA, you’ll never make it there.“ – „Never?“ – „Never.“ Und zurück nach Flagstaff? Riskant. Er würde das nicht versuchen, riet uns Floyd, der in weniger als einem Augenblick eine unglaubliche Wandlung vom murrenden Mech zum mitleidigen und netten Berater durchmachte. Er würde das Auto abschleppen lassen und sich in Flagstaff nach einer Lösung umsehen.
Nach ein paar Schweigeminuten und ermunterndem Zureden von Christian haben wir uns in den Subaru gesetzt und sind die bisher letzten Meter mit ihm bis zum Parkplatz vom Ramblin Rose Hotel gefahren. Wir parkten, und erhielten von der indischen Hausangestellten nach einigem Zögern das Passwort für den WiFi-Zugang: Bombay55. Online wollten wir uns nach einem Abschleppdienst umsehen. Das Passwort funktionierte nicht, und doch wurde Bombay55 zum grossen Schlagwort, zum Symbol, das diesen Tag irgendwie prägte.
Floyd organisierte uns einen Abschleppwagen und half uns bei den Preisverhandlungen mit den beiden Abschleppern. Der Subaru wurde aufgeladen und wir mitsamt Gepäck zum Kingman Airport gefahren. Unser Plan: bei Hertz ein Auto mieten, unsere Reise zu Ende geniessen und uns später um das Subaru-Problem kümmern. Leider aber hatte Hertz kein Mietauto zur Verfügung. Wir müssten warten, in ein paar Stunden – vielleicht – könne man uns weiterhelfen. Warten am Flughafen von Kingman mit seinen vier Angestellten, nicht gerade nonplusultra-ig. Die vier Angestellten boten uns mit tollen Jokes und ihrer witzigen Art aber eine beinahe professionelle Comedy-Show, die in einem fast unglaublichen Angebot gipfelte. Für 280 Dollar würde man uns von Kingman nach Las Vegas fliegen: ein Flug für zwei, mitsamt Gepäck und allem. Ein verlockendes Angebot, das wir uns auf einem kurzen Spaziergang über das verlassene Flughafengelände überlegen wollten.
Auf unserem Spaziergang klopften wir beim Office der Flughafenverwaltung an, um uns nach dem Weg zum einzigen Shop in Laufdistanz zu erkunden, wo wir uns nach etwas Essbarem umsehen wollten. Janie Platt, die nette Dame am Empfang der Verwaltung, erklärte uns den Weg und bot uns Brownies, eine Peanuts-Box und gekühltes Cola an. Nachdem wir ihr unser Leid klagten, sagte sie, sie würde sich für uns nach einer Lösung umschauen. Wir zogen los und träumten von besseren Zeiten, vom fernen LA und von einem Ford Mustang Cabrio, mit dem wir durch die Mohave Wüste Richtung Westen brausen könnten. (Ja, wir diskutierten wirklich über einen Ford Mustang…) Fünf Minuten später, auf unserem Weg zum gesuchten Shop, bemerkten wir Janie, die wild fuchtelnd vor ihrem Office stand und uns zu verstehen gab, dass wir zurückkommen sollten. Wir folgten ihrem unmissverständlichen Gefuchtel und traten wenig später erneut ein in die gute Stube. Mehr Brownies? Noch mehr frisches Cola? Oder sonst ein guter Rat? „So, Hertz tells you there is no rental car in this town?“ – „Yes, they did.“ – „Well, I tell you, there is one“, sagte Janie mit kämpferischem Blick und dem Telefonhörer in ihrer Hand. Am Apparat war Gwen Espinosa von einer lokalen Vermietung in Kingman. Ihr Angebot: ein Mietwagen, hier und jetzt, so lange wir ihn wollten, drop-off in LA: kein Problem. „And, what kind of car is it?“, wollte ich wissen. „A Ford Mustang Convertible“, antwortete Gwen.
Sowas gibts also noch; Träume, die wahr werden, Glück im Unglück und Menschen, die einem ohne Gegenleistung und aus lauter Mitleid aus der Patsche helfen.
Wir haben unsere Reise im gemieteten Ford Mustang fortgesetzt und verbringen die Nacht in Lake Havasu City. Erschöpft und glücklich, voller Vorfreude und mit Blick nach Vorn. We’ll make it to LA, Floyd, we’ll make it!
Euch allne e schöni Noch-Wiehnachtsziit ond bes gly,
Chregi & Samuel
Hallo Samuel,
auch von uns herzlichen Glückwunsch zur Top-Leistung deiner bestandenen
Prüfung.!! Ein wenig Glück gehört halt bei solch gewagten Reisen und Abenteuern immer und immer dazu, deshalb im neue Jahr weiterhin viel Glück und tolle Erlebnisse. Liebste Grüsse Gertrud und Josef.
Hoi Samuel
Herzlichen Glückwunsch zur bestandenen Prüfung!
Wie wärs mit einem 4×4 statt einem Cabrio???? Mit einem winter-/ wettertauglichen Fahrzeug auf Reisen zu gehen? Aus eigener Erfahrung werden Cabrios gerne auf sanfte Weise aufgebrochen und das Reiesgepäck geht an einen neuen Besitzer über. Nun ja, es läuft immer etwas bei dir „enetem Teich“! Für uns ist es sehr spannend und amüsant. Wir wünschen dir toi toi toi und senden liebe Grüsse aus der verschneiten Schweiz
Ursula und Stefan