… ond Zmettag in Mexico

Vor wenigen Tagen noch bin ich mit T-Shirt und kurzen Hosen durch das herbstliche Flagstaff spaziert und habe mich über die warmen November-Temperaturen gefreut. Heute liegt draussen auf den Strassen und den rauchenden Häuserdächern eine etwa 5cm dicke Schneeschicht. „Flag“ sieht aus wie ein Wintersportort in der Hochsaison. Strahlend blauer Himmel, weisser Pulverschnee und wunderschön verschneite Berge am Horizont. Es ist traumhaft. Für meine australischen Freunde ist es das erste Mal in ihrem Leben, dass sie Schnee sehen. Entsprechend gross ist die Euphorie, und entsprechend ausgedehnt sind die „Snow Fights“, die wir uns in den Wäldern rund um den Campus liefern. Zur Erholung habe ich mich für eine Weile ans Barnes & Noble Cheminée gesetzt, um über das vergangene Wochenende zu schreiben.

Gemeinsam mit meiner IC- Roadtrip Crew reiste ich in meinem Subaru für drei Tage in den Süden Arizonas: eine Region, die von schönen Kakteenfeldern und Felslandschaften, von Gold- und Silberminen und von dem Dilemma illegaler Immigranten aus Lateinamerika geprägt ist. In drei Tagen haben wir all diese Facetten gesehen.

Unsere erste Station war Tucson, die zweitgrösste Stadt Arizonas. Highlight war der riesige Pool unseres Hotels, in dem wir den gesamten Samstagmorgen verbrachten. Grösste Enttäuschung war der unglaublich chaotische Verkehr, der die Stadt verstopft und uns lange Wartezeiten im Stau bescherte. In ebendiesem Stau lernten wir einen speziellen Roadbuddy kennen, der in seinem Tahoma-Pickup auf der Lane neben uns steckenblieb, sein Fenster runterkurbelte und uns durch den Strassenlärm seine politische Vision für Tucson zuschrie. „That shit would not happen on my watch!“, garantierte uns der wütende Wartende und hupte kräftig drauflos. Wir versicherten ihm, dass wir genau seiner Meinung seien und hupten kräftig mit.

Zweite Station war die touristisch aufgepeppte Wild West-Stadt Tombstone, „A Town Too Tough To Die“. Tombstone, so weiss ich dank meiner „Arizona and the South West“-Klasse an der NAU, war in den 1870ern und 1880ern eine bedeutende Minen-Stadt in der Unmengen von Silber gefunden wurde. Die Stadt boomte, zog Minenarbeiter, Gambler, Kriminelle und Prostituierte an und ging im späten 19. Jahrhundert schliesslich bankrott, da man so tief nach Silber buddelte, dass man aufs Grundwasser stiess, das in Folge alle grossen Minen flutete und dem Town das Too Tough To Die schien das vorzeitige Ende bescherte. In den 1960er Jahren entschied man sich, die modernen Teer-Trottoirs und Strassen aufzubrechen und die alten Holzlatten-Gehwege und Dust-Roads wieder zu installieren. Tourismus wurde zum neuen Goldesel in Tombstone. Heute kann man sich in unzähligen Shops Gold und Silber kaufen (habe ich getan), alte Sepia-Fotos von sich schiessen lassen, mit Paintball-Pistolen auf Pappkartonpuppen ballern, bei „Big Nose Kate’s“ ein Bier trinken, einer theatralischen Inszenierung vom berühmten Gunfight beim O. K. Corral beiwohnen oder das Birdcage Theater (eines der ältesten Bordelle der USA, das nur noch als Museum betrieben wird) besuchen. Im Keller des Birdcage Theaters – so erzählte mir die Museumsbetreiberin – fand das längste Pokerspiel der Menschheitsgeschichte statt, das für 8 Jahre und 5 Monate ununterbrochen (mit wechselnden Spielern) andauerte. Tombstone ist ein Besuch wert. Wenn nicht für die eher lächerliche Old West-Aufmachung, dann doch deshalb, weil man sich bei Sonnenuntergang cool an einen der hölzernen Dachstützen am Strassenrand lehnen und wie ein richtiger Cowboy sehnsüchtig gen Westen äugen kann.









Viel authentischer und spannender ist das kleine Dorf Bisbee, gerade mal fünf Meilen von der mexikanischen Grenze entfernt. Bisbee war um 1900 Heimat der grössten Kupfermine der Welt. Die „Queen Mine“, in der bis 1975 nach Kupfer gegraben wurde, ist heute öffentlich zugänglich. Wir haben uns eine Tour ins Innere der Mine gegönnt und waren begeistert von den Erzählungen und Anekdoten unseres Tourguides, der selbst über 20 Jahre lang in der Mine gearbeitet hat. Ein Spaziergang durch Bisbee ist aber auch ohne Minenbesuch ganz amüsant. Die Strassen sind gesäumt von farbigen Hippie-Häusern, die Häuserwände sind mit Modern Day-Mona Lisas und kecken Polit-Slogans verziert und im Bahnhofskaffee gibt es einen guten „Toast Forestière“ (der allerdings doch nicht ganz an jenen der Tamedia Kantine herankommt). Und, ja, ich erzähls jetzt halt doch: auf dem Dorfplatz wurde ich von einer der grasenden Geissen attackiert und fiel – zur Belustigung des IC – rücklings auf den Boden. „Another Sam-moment“, so das Fazit des ICs. Ich habe mir hier – wer hätte das gedacht – einen Ruf als „Gstabi“ eingebrockt. Was solls, 1:0 für die Geiss, ultima necat.



Etwas ausgefallen und schliesslich eher bedrückend war unsere Idee, für den Lunch nach Mexico zu gehen. Wir fuhren hinunter an die hochbewachte Grenze zwischen Arizona und Sonora, parkierten neben einem Grenzposten und spazierten (ohne Probleme) mit Pass und ein paar Dollars hinüber nach Naco. Im einzigen Restaurant, das im hochkatholischen Dorf am Sonntag geöffnet hatte, gönnten wir uns ein paar Tacos und wimmelten die Teenie-Banden ab, die uns um „dolares“ und „pesos“ bettelnd bedrängten. Auch die Rückkehr in die USA war kein Problem. Die mexikanischen Grenzwächter beachteten uns nicht einmal, als wir ihnen freundlich „Adios“ zuriefen. Die US-Wächter schauten rasch in unsere Pässe und wünschten einen guten Tag. Und schon waren wir wieder drüben im gelobten Land. Fünf weisse Männer, mit umgehängten Kameras und vollen Bäuchen, auf einem Ferientrip in den Süden Arizonas. Lunch in Mexico, ja, weshalb denn nicht? Diese Frage stellte sich uns auf der Rückfahrt durch den Wüstenstreifen hinauf nach Bisbee, wo wir vom Highway aus zuschauen mussten, wie die Grenzwächter vor uns einen Pickup mit Pferdewagen anhielten und mit vorgehaltenen Maschinengewehren etwa 15 illegale Immigranten aus dem Wagen zerrten und sie in Handschellen am Strassenrand aufreihten. Weshalb also nicht zum Lunch nach Mexico? Weil genau diese wenigen Schritte, die einem vom armen Mexico ins gelobte Land bringen, hunderten Menschen jährlich den Tod bringen. Weil diese primitive Holzlattengrenze inmitten der Wüste jedes Jahr tausende Träume von einem besseren Leben beendet. Weil diese willkürlich gesetzte Schranke für mich nichts und für viele alles bedeutet. Nach Mexico zum Lunch zu fahren und der Serviertochter so viel Trinkgeld zu geben wie wir für das gesamte Essen bezahlt haben, das ist kein vergnüglicher Freizeittripp. Es ist – im Nachhinein – arrogant und unüberlegt. Ich habe kein gutes Gewissen, wenn ich an diese Tacos zurückdenke. Diese Grenze brachte mich ins Grübeln. Ich weiss nicht mehr, was ich von Grenzen halten soll. Und ich bin mir nicht mehr so sicher, wie sehr ich die Trennung zwischen legalen und illegalen Menschen unterstützen möchte.

Zufälligerweise hat das SF vor ein paar Wochen einen Film zu genau diesem Thema ausgestrahlt. Der DOK „Which Way Home“ begleitet illegal reisende Jugendliche auf ihrem gefährlichen Weg von Lateinamerika in die USA. Wer möchte, kann sich den Film hier anschauen.

Morgen Nachmittag fliege ich für vier Tage nach Houston, Texas, zu den Gold-Singletons, bei denen ich auf meiner ersten Amerika Reise vor vier Jahren für eine Woche wohnen durfte. Thanksgiving steht an: Truthahn essen, Dr. Pepper trinken und in alten Erinnerungen wühlen. Ich freue mich!

Macheds guet!

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