Es war eine dieser Notlügen, die einem am Himmelstor wohl verziehen würden: ich lag in meinem Zelt auf dem wunderschönen Campingplatz ausserhalb von Lajes auf der Azoreninsel Pico und richtete meinen Blick nur widerwillig auf den Wecker, der neben mir auf der Luftmatratze lag. Ich wusste, ich hatte verschlafen, und ich hatte ein schlechtes Gewissen wie nur selten zuvor. Geplant gewesen wäre, dass ich als „Scout“ morgens um 6 aus meinem Zelt hinausspienzeln und einen Blick auf den Pico werfen würde. Je nach Wetter wären wir dann (ich und eine rund 10-köpfige Touristengruppe) hinaufgewandert. Der Pico, die höchste Erhebung Portugals. Ich habe ihn während Wochen vom Meer aus betrachtet, habe ihn fotografiert, mit Leuten über deren Pico-Erklimmung gesprochen und es in drei Azorenaufenthalten bisher doch nie geschafft, die Wanderung in Angriff zu nehmen. Wie die Zeiger des Weckers genau standen, weiss ich nicht mehr. Jedenfalls war 6 Uhr längst vorbei und mir kamen all die Touristen in den Sinn, die seit 6 Uhr morgens zuhause auf mein SMS warteten. Sofort tippte ich ihnen, dass sich das Wetter seit dem frühen Morgen tendentiell verschlechtere und dass wir den Trip wohl verschieben müssten. Die Antwort: das sei gar nicht so tragisch, sie hätten nämlich verschlafen…. Was ich damit sagen will: seit meinen Azorenaufenthalten habe ich sowas wie ein Bergtrauma. Trotz reichlich Zeit, Wille und Musse gelingt es mir nicht, nahegelegene Gipfel zu erstürmen. Das gilt zum Beispiel auch für den Uetliberg. Immerhin habe ich satte drei Jahre lang an dessen Fuss gelebt, habe ihn aber nie auch nur ansatzweise erklommen.
Flagstaff, so nahm ich mir fest vor, sollte die Ausnahme werden. Humphreys Peak, der knapp 4’000 Meter hohe Hausberg der Stadt, ragt mächtig in den blauen Himmel und lockt im Winter mit Arizona’s einzigem Skigebiet tausende Besucher an. Während den wärmeren Monaten lässt sich der Berg über zwei unterschiedliche Trails besteigen, die beide als „strenuous“ gelten. Also nichts für Wanderfaule. Ich fragte vor ein paar Tagen at Glenn’s in die Runde und konnte Glenn, Ben und „V“ für einen gemeinsamen hiking day begeistern. Am Sonntagmorgen (nachdem ich mir in Mama-Manier selbst Sandwiches gestrichen und sie zusammen mit Apfelschnitzen und Werther-Caramel-Bonbons in ein Tupperware verpackt habe) fuhren wir durch die weiten Pinienwälder nördlich von Flagstaff bis hin zum Ausgangspunkt des Humphrey Trails. Auf 7.5 Kilometer Länger sind exakt 1’000 Höhenmeter zu bewältigen (in amerikanischen Massen ergibt das die Schöne Zahl von 3’333 feet). Was ich nicht gedacht hätte: die beiden Australier (allen voran Ex-Minenarbeiter Glenn) sind bergtechnisch äusserst fit und legten ein Tempo vor, das uns Europäer im Stillen ziemlich zu schaffen machte. Aber schliesslich gilt es, den Kontinentalstolz zu bewahren und sich nichts anmerken zu lassen. Leise keuchend und hie und da vergeblich auf die zum Verweilen einladenden Aussichtspunkte hinweisend schleppten sich V und ich den beiden Aussies nach und waren mehr als froh, als wir nach knapp dreieinhalb Stunden auf dem Gipfel standen. „strenuous“, tatsächlich, die fantastische Aussicht aber macht alles Leiden wett. Vom Gipfel des Humphreys Peak aus sieht man über die eigenartige Landschaft Nord-Arizonas bis hinüber zum Grand Canyon, auf der anderen Seite blickt man auf Flagstaff hinunter und weit im Osten erkennt man den Meteor Crater. Und ja; mein Bergtrauma ist überwunden. Ich habe good ol‘ Humph „gemacht“ (e knappe Viertuusiger), oder wie die Australier etwas rüde sagten: „We f***** that peak.“
Zuhause angekommen wurde ich von einem an die Tür gehefteten Zettel überrascht, via den mich die Quartierverwaltung (die sich neuerdings in Einheitskleidern zu zeigen gibt und mit top aktuellen Hochglanzbroschüren in der Stadt Werbung für ihre Wohnungen betreibt) wissen liess: „your patio/balcony needs attention!“ In bestimmt-freundlichen Worten wurde ich aufgefordert, den „metal chair“, der seit Beginn meines Aufenthalts da stand und auf den ich mich Abends manchmal hinsetzte, um in die stars zu gazen, binnen 24 Stunden zu „removen“, ansonsten sei mit einer Busse von 25 Dollar zu rechnen. Begründung: „We all want to keep our neighbourhood save and clean.“ Also klappte ich meinen metal chair zusammen und stellte ihn zurück in die Küche, die wohl auch einmal ein bisschen „attention“ brauchen könnte. Aber das sieht man von draussen ja nicht. Also stört das auch niemanden. Denn alleine darum geht es hier: einen guten Eindruck hinterlassen, Fassade hochhalten, der Schein zählt, auch wenn er vielleicht trügt. Heute übrigens hing schon wieder ein Zettel an meiner Tür. Diesmal nicht von der Quartierverwaltung, sondern von Caroline aus Frankreich die unter mir wohnt und mich in blumigen Worten darum bat, nachts weniger laut in meinem Zimmer rumzulaufen, falls mir das nichts ausmache, da sie sonst immer erwache, wenn ich nach Hause komme. Ich schrieb ihr auf Französisch zurück mit der Bitte, mir doch in 5 Tagen ein schriftliches Feedback zu meinem nächtlichen Gang zu geben und festzuhalten, ob sich die Situation für sie verbessert habe. Schliesslich weiss ich als Frau-Fischer-Geplagter (lebt sie noch, Roman?), wie ungangenehm es ist, wenn Nachbarn nicht auf freundlich formulierte Beschwerden reagieren… Ich bin gespannt.
Mein nächtlicher Schlaf, übrigens, wird seit vorgestern von „Devil“ überschattet, einem ziemlich gelungenen Horrorstreifen, den ich mir auf Drängen des IC im Harkins Theatre (dem Flagstaffer Kinokomplex mit 11 Kinosäälen) anschaute. Mein erster Horrorfilm seit über einem Jahr. Fünf Menschen in einem steckengebliebenen Lift, einer ist nicht der, für den er sich gibt. Das Licht geht immer wieder aus. Gruslige Dinge passieren. Niemand weiss, wer es ist. Verdacht kommt auf, Hoffnung stirbt, Angst erfüllt den engen Raum. Ein klassisches Setting, das einen eigentlich nicht mehr einschüchtern sollte, aber eben. Man macht sich dann halt schon so seine Gedanken. Und schliesslich weiss ich ja nicht mit Sicherheit, wen Caroline da nachts in meinen Räumlichkeiten Rumschleichen hört.
Morgen könnte ein entscheidender Tag werden. Ich fahre am Nachmittag mit meinem Bike in den Osten der Stadt (das ist ziemlich weit), um mir Charlie’s Subaru Legacy (Baujahr 1997) anzuschauen und ihn nach Öle’s 10-Punkte-Liste durchzuchecken. Das Auto könnte meines werden, wenn es denn wirklich so toll ist, wie auf craigslist.com (dem amerikanischen ricardo.ch) von Charlie beschrieben. Der Subaru ist an sich genau das, was ich suche. Ein sparsamer StationWagon mit 4WD, Klimaanlage, Cruise Control und viel Raum, um sich auch mal hinlegen zu können. Auf dass die technischen Götter für einmal mit mir sind…
Unten 15 Eindrücke von unserem Humphrey-Hike. Wer findet den Unterschied zu den früheren Bildern?
ech lehn mech mol wiit use ond säg de onderschied isch, dass bi dene foteni es anders objektiv verwendet hesch.
apropos 3333 feet: Ech frög mech, wieso sie zwüschem golf ond de grosse see, a ihrne kompliziert mass festhalted.
1 inch = 1/12 feet = 1/36 yard = 25,4 mm
1 yard = 3 feet = 36 inches = 0.9144m
Während de revolutionäri meter usem revolutionäre frankrich s’ned idi drizeh revolutionäre kolonie gschafft hed, hed er sech uf di gsamti restlechi welt usbreitet.
Vellecht fendsch jo d’antwort uf das rätsel, wennd met 60 mph dürs ned-dezimale arizona kurvsch.
ech glaub ech hane gfonde, de ondersched: s fräche pelzli esch wäg. plus, du hesch eidüütig abgnoh. (ech gseh, du schaffsch schön of 89 he.. das gfallt mer! 🙂