„Johnson, U.S. Marine“

Etwas vom Spannendsten, was Amerika zu bieten hat, sind mit Sicherheit die Amerikaner. Ein Volk, das uns Schweizern zum verwechseln ähnlich sieht, jedoch – so habe ich manchmal den Eindruck – komplett anders denkt und lebt, als wir uns das gewohnt sind. Die Lebensweise der Amerikaner hat auf den ersten Blick etwas sehr Reizvolles an sich. Feel-Good-Stimmung und Bequemlichkeit gehören zu den massivsten Grundpfeilern dieser Gesellschaft, die allerdings auch ganz anders kann. Fanatische Sportler kreuzen auf dem Campus mit fettleibigen Teenagern den Weg; aufgemüpfte junge Damen präsentieren ihre frisch gebleichten Zähne in der Nachmittagssonne während in der gemütlichen Cline Library fleissige Studentinnen stapelweise Bücher durchblättern; gefährlich ausschauende Afro-Amerikaner schreien einem aus vorbeifahrenden Pickups „cracker“ nach, wenn man mit dem Basketball unter dem Arm Richtung Court spaziert (cracker ist ein nicht eben freundlich gemeinter Ausdruck für weisse Basketballer, von denen die Afro-Amerikanischen Spieler nicht sehr viel halten), während einem äusserst freundliche Shopbetreiber und Food-Verkäufer mit aufmunterndem Lächeln und netten kleinen Smalltalk-Einheiten den Tag verschönern. Kurz; Amerika erscheint mir nach den ersten paar Wochen so vielseitig, wie es sich in den Reiseführern und Travel-Magazinen gibt. Ein Land so gross, dass alles darin Platz findet. Ein Land der Widersprüche und ein Land der Gegensätze, dessen Erkundung einem mittelgrossen Abenteuer gleichkommt.

Eine sehr spezielle und ebenso spannende Bevölkerungsgruppe sind die Angehörigen der US-Streitkräfte. Wer in der Army einen Offiziersposten anstrebt, der muss einen Studienabschluss vorweisen können. Welche Studienrichtung man wählt, ist dabei egal. Was zählt sind die guten Noten im Zeugnis. An der NAU gibt es eine Menge in Uniform gekleidete junge Herren, die in den Vorlesungen (soweit ich das nach zwei Uni-Tagen sagen kann) sehr aktiv mitmachen, auffällig laut sprechen und trotz der bedrohlich wirkenden Uniform stets freundlich dreinblicken. An einem Abend „at Glenn’s“ letzte Woche haben ein paar von ihnen an einem unserer Festchen vorbeigeschaut. Als sie sich für kurze Zeit aus der Hitze des kleinen Wohnzimmers „at Glenn’s“ stahlen, um draussen im Gang eine Zigarette zu rauchen, bin ich ihnen gefolgt, um mich einmal von Angesicht zu Angesicht und ohne lauten Background-Sound mit modernen G.I.’s unterhalten zu können. Auf mein „do you mind if I join you guys for a minute“ folgte der schmerzhafteste Händedruck meines Lebens. „Johnson, U.S. Marine“, schrie mir der am nächsten stehende der drei Soldiers irgendwie freundlich ins Gesicht und packte meine Hand in einer Art und Weise, wie ich es noch nie erlebt hatte. Nicht anders die beiden anderen Soldaten, deren Namen ich mir leider nicht merken konnte. Johnson, der U.S. Marine, stellte sich als sehr gesprächigen Diskussionspartner heraus. Ich wählte einen sanften Einstieg, erkundigte mich nach der Studienrichtung, wollte wissen, woher er ursprünglich komme. Da man aber schliesslich nicht jeden Tag mit drei US-Army-Kämpfern vor einer Tür steht und Zeit hat, um mehr über deren Ansichten zu erfahren, entschied ich mich irgendwann, das „Risiko“ auf mich zu nehmen und zu den härteren Fragen überzugehen. „Was it a mistake to enter Iraq?“ „Are you not afraid of getting killed in a battle far away from home?“ „Do you think your country has the right to do what it does overseas?“ „Would you attack Switzerland if your President told you to do so?“ Johnson war sichtlich überrascht, wusst nicht recht, wie er reagieren sollte. Was will dieser Schweizer? Was mischt er sich ein? Hat er das Recht, diese Fragen zu stellen? Doch dann entschied er sich, zu reden. Als allererstes erklärte er mir lauthals, dass es gewisse Dinge gäbe, über die er als Armeeangehöriger nicht sprechen dürfe. Die Obama-Regierung, zum Beispiel (nach einer knappen halben Stunde hatte er das Sprechverbot aber offenbar vergessen). Nach dieser einleitenden Erklärung legte Johnson, der U.S. Marine, los. Irak sei ein Fehler gewesen, das gäbe er heute offen zu. Man hätte das anders angehen sollen, hätte mehr über die Konsequenzen nachdenken müssen. Heute sei ein Rückzug aber nicht mehr möglich. Man müsse zuerst die Terrorzellen komplett zerstören, dann weiterhin beim Wiederaufbau helfen. Die USA müssten sich für die Zukunft aber vor allem bewusst werden, dass sie nicht „the world’s police“ seien und sich nicht überall einmischen. Das tönte für mich alles nach Lehrbuch. Es war nicht wirklich neu, aber immerhin war es das erste Mal, dass ich das Statement nicht in einem Interview auf tagi.ch las, sondern von einem U.S. Marine live ins Gesicht geschrien bekam.

Neu war für mich folgende Antwort: „Yes, if my government told me to attack your country, I would do it.“ In diesem Moment war ich derjenige, der ins Stocken kam. Johnson, der U.S. Marine, würde also in die Schweiz einmarschieren, würde „mein“ Land erobern, mich – falls ich denn Widerstand leisten würde – allenfalls töten. Johnson, der vor mir stand, mich in seinem Redefluss immer noch freundlich anschrie, der mir kurz zuvor die Hand gab und der am kommenden Morgen womöglich neben mir im Hörsaal Platz nehmen würde. Dieser Johnson würde mich womöglich umbringen, wenn man es ihm befähle. Für einen Moment kriegte ich Angst. Das merkte Johnson, klopfte mir hart auf die Schulter und meinte: „Don’t worry, Swissman, your country and my country are friends.“ Friends and Enemies; die beiden altbekannten Kategorien. Gut und Böse. Auf unserer Seite oder auf der falschen Seite. Hinter der freundlichen und einladenden Fassade dieses Landes schlummert eine grosse Gefahr: die Gefahr der Selbstverherrlichung und der Kampfeslust. Für den Moment bin ich froh, ein „friend“ und nicht ein „enemy“ zu sein. Wenn ich aber nun so dasitze und mir das Ganze durch den Kopf gehen lasse, dann bin ich ein Gegner dieses amerikanischen Kategorisierungsgehabes. Ich bin ein „enemy“ des US-Expansionsdrangs.

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Eine Antwort zu „Johnson, U.S. Marine“

  1. Peter schreibt:

    Hoi Samuel

    Jetzt habe ich mir doch mal etwas Auszeit gegönnt und vom Büro in Deinen Blog hineingeschaut. Gut geschrieben und witzige Stories, vieles kommt mir irgendwie vertraut vor.

    Nochmals, many happy returns for your birthday tomorrow!

    Peter

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