International Team @ Glenn’s

Neue Kulturen kennen lernen, neue Leute treffen. Diese beiden Dinge stehen zuoberst auf der „dotted list“ (ein Begriff, der in meinem neuen Freundeskreis zum running Gag wurde) eines jeden Muster-Austauschschülers. Ich würde mich in dieser Hinsicht nicht als Muster-Austauschschüler bezeichnen. Die amerikanische Kultur kennen lernern? Ja, das will ich. Trotzdem war das nicht die Hauptmotivation für meinen Austausch. Neue Leute treffen? Das ist ein willkommener Nebeneffekt, aber ebenfalls kein Must-have. Doch, irgendwie kommt man als Austauschstudent gar nicht drum rum, neue Kulturen und Leute um sich zu scharen und sich gegenseitig auszutauschen. Schon gar nicht, wenn ebendiese Dinge von der Universität her forciert und in einer „International Week“ als Haupt-Programmpunkte aufgeführt werden.

Ebendiese International Week liegt nun hinter mir. Sieben Tage wilder Kulturmix, gemeinsame Ausflüge, Parties, Immigrations-Meetings, Ice Cream-Treffen, Campus Touren und Downtown Spaziergänge. Es war gut, mit rund 480 anderen Menschen zusammen zu kommen, die aus allen heeren Ländern den Weg nach Flagstaff auf sich nahmen und – mit doch sehr unterschiedlichen Zielsetzungen – heute Montag ihr Austauschsemester an der NAU begannen. Rund 70 Prozent (nicht meine Schätzung, sondern offizielle Zahl) der Austauschstudenten sind Chinesen. Sie haben hier auf dem Campus ihre eigenen Übersetzer, die bei jeder öffentlichen Rede freundlich lächelnd neben dem Rednerpult kauern und – ohne das freundliche Lächeln zu vernachlässigen – simultan übersetzen, was der jeweilige Redner von sich gibt. Ich persönlich habe etwas Mühe damit. Wer in die USA kommt und hier studieren will, sollte – meiner Meinung nach – doch einigermassen Englisch sprechen. Der ganze Übersetzungszirkus wirkt auf mich eher lächerlich. Ein Grossteil der verbleibenden 30 Prozent sind Deutsche. Als Schweizer bin ich (zusammen mit Marco Kaiser) eine krasse Minderheit hier auf dem Campus.

Ich möchte euch in diesem Eintrag die verschiedenen Internationals, die ich in den vergangenen Tagen kennengelernt habe, kurz vorstellen. Nach der ersten Woche hier in Flagstaff erkenne ich für mich so etwas wie einen Outer Circle (OC), dem rund 20 Personen angehören, mit denen ich gemeinsam die Umgebung erkundete und denen ich auf dem Campus ein „Hey, how’s it going?“ entgegenträllere. Zum OC gehört etwa Carl aus Essex, der hier Philosophie studieren und seine Credits mit möglichst geringer Präsenz holen will. Carl ist sehr gut organisiert und führt als einziger eine Liste mit Upcoming Events, die er gerne besuchen möchte. Diese „dotted list“ hats innert Kürze (wie gesagt) in den erlauchten Kreis der Insider geschafft. Da ist Marco, mein Schweizer Anker inmitten des internationalen Wirbels, mit dem ich in den ersten Tagen Sorgen und Hoffnungen austauschte und mit dem ich mich – nach Ansicht der restlichen OCler – in einer „code language“ unterhalte. Hagen und Max aus dem Norden Deutschlands studieren internationale Beziehung und sind sich auch nach knapp 10 Tagen in Flagstaff noch nicht einig, ob sie weiterhin auf ihrer Luftmatratze schlafen oder vielleicht doch ein Bett kaufen sollen. Federico aus Parma studiert Philosophie und wirkt aus der Ferne wie ein in moderne Kleider gehüllter Platon, der mit dem Schreibblock unter dem linken Arm und der Nickelbrille auf der Nasenspitze durch die Gegend schlendert und sich für den amerikanischen Standpunkt zur Religionsdebatte interessiert. Fernando aus Madrid spricht ein sehr unverständliches Englisch, macht das aber mit ansteckendem Lachen wett und betont stets, er sei nicht zum Feiern, sondern zum Studieren hier. Das glaubte ich ihm solange, bis er mir an einem Abend „at Glenns“ (dazu komme ich noch) sichtlich angetrunken erklärte, er wolle „go town have a look at women“. Chavi kommt ebenfalls aus Spanien und klagt auch nach über einer Woche noch über den Jet-Lag, der ihm offenbar die Teilnahme an unseren täglichen Basketball-Sessions völlig verunmöglicht. Kearan und Matt aus Australien entsprechen meinem unkritischen Bild des klassischen Beach-Boys. Ihr Auftritt in Originalkostümen an der 80’s Party im „The Green Room“ – einem der populärsten Party-Lokale der Stadt – war filmreif. David I ist Amerikaner und Freund von Carmen aus Spanien, die für ein Jahr an der NAU studiert. Ohne aufzufallen, hat er sich in den International-Verband eingeschlichen und mit seinem riesigen Van eine willkommene Chauffeur-Funktion übernommen. Er wirkt sichtlich bemüht darum, durch Verzicht auf moderne Errungenschaften wie Facebook aus der Masse herauszustechen. Aus dem gleichen Grund hört er sich grundsätzlich nur „complex music“ an, die nicht nur die „cheap Pop-harmonies“ rauf und runterträllert. Ich wollte von ihm wissen, was am Slayer-Album, das er auf dem Weg zum Meteor Crater (den wir mit dem OC letzte Woche besuchten) in seinem Wagen spielte, komplex sei, worauf er mir ziemlich unmittelbar zu verstehen gab, dass die Diskussion beendet sei. Da ist David II, ebenfalls ein Amerikaner, der auf dem Campus in einer Subway-Filiale arbeitet und ab und zu einen Trinkbecher (für den man bezahlen müsste) übersieht und nur das Sandwich verrechnet. Dave ist (wie es Daves offenbar an sich haben) ein sehr liebenswerter Mensch. Er erteilt mir jeden zweiten Abend geduldig eine Basketball-Lektion und stellt Übungen zusammen, die mir helfen sollen, am Ende des Semesters „the enemy“ zu besiegen. „The enemy“, das ist jener Typ, dem ich auf dem Indoor Basketball-Court letzte Woche begegnet bin. Wir haben da mit ein paar Einheimischen gespielt und uns über die arrogante Art des enemies genervt, der es sichtlich genoss, gegen unerfahrene Basketballer aufzutrumpfen und ihnen zu verstehen zu geben, wie viel versierter sein Spiel ist. Mein Ziel ist es, gemeinsam mit Dave’s Hilfe noch vor Weihnachten den enemy in einem One-on-One zu „besiegen“. Mal schauen…

Da ist Victor aus Costa Rica, der bereits am dritten Tag der International Week einer deutschen Austauschstudentin seine Liebe gestand und danach unglücklich von dannen zog. Das Malheure ereignete sich an einer privaten Haus-Party, an die er uns mitgenommen hat. Eine amerikanische Haus-Party wie im Bilderbuch: College-Kids Schulter an Schulter, massenhaft Alkohol, blinkende Lichterketten, laute Musik, und kurz nach ein Uhr morgens die Polizei, die das Haus stürmt und die Party auflöst. Spannend war die Reaktion der offenbar mehrheitlich unter 21jährigen, die sofort nach Ankunft der „blues“ die Flucht ergriff. Wer als unter 21-jähriger hier mit Alkohol erwischt wird, hat mit drastischen Strafen zu rechnen.

Da ist Alex aus London, der nicht so recht klar kommt mit seinem chinesischen Zimmergspähndli und daher die Mehrzahl der Nächte auf dem Stubenboden „at Glenn’s“ verbracht hat. Dazu kommen Sadaj und Adel aus Saudiarabien, die für mehrere Jahre in die USA kommen und sich zu Ingenieuren ausbilden lassen. Wenn ihre Eltern von den Party-Eskapaden erfahren würden, so erzählten sie, würden sie aus den USA zurückgeholt und eingesperrt. Grundsätzlich wurde es uns deshalb verboten, Fotos von ihnen zu machen.

Die weiblichen Mitglieder des OC werden von Debby aus Milan angeführt, die seit drei Jahren in Arizona studiert und mit überschwänglicher Lebenslust einen Ausflug nach dem anderen organisiert. Debby’s Zimmergenossin Lena ist jene blonde Dame, die Victor das Herz brach und seither nur noch sehr zurückhaltend mitdiskutiert, wenn es um Beziehung und Partner geht. Sara ist in den Augen der australischen Austauschgarde die Schönste aller Exchange Studentinnen und sorgt mit ihrem Charme dafür, dass wir ab und dann etwas günstiger in Clubs oder Privatparties reinkommen. Mary sieht sich als lebender Vampir und eckt mit ihrem schottischen Akzent bei den Einheimischen meist an. Theresa ist sowas wie die Clanmutter und die Heimwehfee. Mit feinem Gspüüri und offenem Ohr geht sie durch die Welt und hilft, wo immer sie kann. Glücklicherweise bin ich über die Zeiten hinaus, wo ich die Dienste einer Heimwehfee in Anspruch hätte nehmen müssen. Und schliesslich ist da Caroline aus Georgia, die einst als Lehrerin auf einer Militärbasis in Deutschland arbeiten möchte. Eine bunte Truppe, die sich im Gewusel der dieses Jahr 23’000 US-Studenten wohl irgendwann verlieren wird.

Zu den Bildern: sie stammen von unserem Ausflug zum Meteor Crater, einem der grössten Meteoriten-Krater der Welt. Vor 50’000 Jahren prallte er mit voller Wucht in der Wüste östlich von Flagstaff auf die Erde. Heute steht ein sehr spannendes und modernes Museum daneben.


Im Zentrum jedes Outer Circles gibt es einen Inner Circle (IC). Das ist bei meinem Versuch, den neuen Bekannten-Kreis zu ordnen, nicht anders. Zum IC zähle ich jene sechs Internationals, die mir besonders „ans Herz gewachsen sind“, mit denen ich auch mal One-on-One einen Kaffee trinken ging und mit denen ich im September gemeinsam auf einen 3-Tages-Trip nach Las Vegas gehe. Ruhender Pol des IC ist Glenn aus Perth, Australien. Er war der erste der ganzen Truppe, der sich ein Auto kaufte und der erste, der seine Wohnung auf dem Campus als Treffpunkt für alle Internationals zur Verfügung stellte. „At Glenn’s“, das wurde der Standard-Meetingpoint, bevor man ausging, einen Ausflug machte oder zu einem offiziellen Anlass aufbrach. „At Glenn’s“, das war da, wo wir uns alle ein wenig näher kamen, uns austauschten und uns gemeinsam auf das kommende Semester einstimmten. „At Glenn’s“, das war da, wo ich mich anfänglich fast mehr zu Hause fühlte als in meinem Zimmer in der Pine View Village (dem ich bald auch einen Eintrag widmen werde). Glenn arbeitete in Australien als Minen-Arbeiter, liess sich umschulen und holt jetzt im Alter von 32 sein Wirtschaftsstudium in den USA nach. Ebenfalls aus Australien kommt Ben, der mit knallrotem Haar und Struppi-Frisur jedem sofort auffällt. „With you, there’s only deep topics“, sagte er mir kürzlich. „And that’s what I like.“ Ben als Diskussionspartner, als begeisterter Streitgesprächler. Ohne ihn wären die Abende hier wohl nur halb so spannend. Der dritte Australier im Bund ist Jacob, ein Energiebündel voller Rugbybegeisterung und Charme, der keine Gelegenheit auslässt, sich selbst den umherlaufenden Damen vorzustellen und sie mit seinem Australian Accent zu bezirzen. Ein Lausbube mit grossem Herz, der bereits jetzt seine Schweizreise für das Jahr 2011 plant und mich über die schönsten Ecken des Landes ausfragt. Benedikt aus Deutschland (er ist oben mit mir und einem Papp-Astronauten auf einem Bild zu sehen) ist zurückhaltend, spendierfreudig und reisebegeistert. Er hat unsere Basketball-Tradition eröffnet und sorgt im Spiel gegen die Einheimischen dafür, dass auch das International Team ab und an mal scoren kann und nicht ganz so abgeschlagen hinterherhinkt. Arnold aus Holland hat mit seiner Freundin einen „Do whatever you want“-Vertrag abgeschlossen, der ihm einen faktischen Freipass für die kommenden Monate zusichert. Treu sein in Amerika, das wäre für ihn zu viel verlangt. Er ist der einzige Geschichtsstudent im OC und von daher mit Sicherheit ein guter Studienpartner. Zu guter letzt kommt noch Veijo aus Finnland. Für Nicht-Finnländer ist es praktisch unmöglich, den Namen korrekt auszusprechen, weshalb wir ihn liebevoll einfach „V“ nennen. „V“ hat in Finnland mit Rappen sein Geld verdient und uns eine äusserst amüsante Kostprobe seinens Könnens gegeben. Ein Exot in mitten all der Internationals, der mich mit seinem Lerneifer hoffentlich bald ansteckt.

Auf den Six-Pix ein paar Eindrücke von unserem Steakhouse-Besuch mit einem Teil des IC’s: 1) Arnold aus Holland, 2) Ben aus Australien, 3) Veijo aus Finnland, 4) Jacob aus Australien, 5) & 6) mehr oder weniger gelungene Gruppenfotos.


Damit ist die Vorstellungsrunde vorläufig beendet. Machts gut und lasst von euch hören…

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