Da bin ich nun. Angekommen, eingerichtet, vorbereitet. Nicht, dass ich mich hier zu Hause fühlen würde. In dieser Kleinstadt mit gut 60’000 Einwohnern, die von einem 5-spurigen Highway durchschnitten und täglich von über 100 Güterzügen durchfahren wird. In dieser Kleinstadt, deren „historic downtown“ in den 1890er Jahren errichtet und seither einigermassen gepflegt und gehegt wurde. In dieser Kleinstadt, in der mehr als 50 Prozent der Bewohner indianischer Abstammung sind und sich – so erzählen die Bewohner europäischer Abstammung – nur ungern ins Stadtleben integrieren. Aber, es geht mir schon besser als noch vor zwei Tagen, als ich nach meiner dreiwöchigen Reise im Office der Pine View Village sass und mir von der freundlichen Receptionistin die Hausordnung vorlesen und das Quartierleben erläutern liess. Mary – so heisst die Receptionistin – hat mir kurz vor 14 Uhr am vergangenen Samstag den Zimmerschlüssel zu Zimmer Nummer 20 überreicht. Das Zimmer liegt in einem der Eckhäuser der Pine View Village, die insgesamt 264 Wohneinheiten zur Verfügung stellt. Es ist im oberen von zwei Stöcken, ca. 16 Quadratmeter gross, hat ein eigenes Badezimmer und ist von aussen her direkt zugänglich. Es ist angegliedert an eine Wohnstube mit Küche, die ich mir mit drei Mitbewohnern teile (ich werde sie euch bald etwas genauer vorstellen). Das Fenster gibt den Blick auf den angrenzenden Parkplatz frei. Es steht eine Pinie davor, in der Nacht sieht man die Sterne, am Morgen scheint die Sonne herein. Richtig gemütlich ist es noch nicht. Es hängt ein leicht miefiger Geruch im Zimmer (es war drei Monate lang unbewohnt und in dieser Zeit offenbar nicht durchgelüftet worden), die Wände sind noch weiss. Ich bin daran, das zu ändern, hänge Fotos auf, möchte bald eine Pflanze kaufen, habe gestaubsaugt, mir einen Seifenhalter und ein Zahnbörschteli-Glas angeschafft, den Duschvorhang aufgehängt, das Bett angezogen (geschlafen habe ich bisher aber immer auf meiner sehr bequemen Luftmatte und im Schlafsack), eine Früchteschale aufgestellt, meine Kleider gewaschen und in der Kommode verstaut. Es kommt langsam Leben in diesen Raum, der mir noch etwas fremd ist, aber hoffentlich bald so etwas wie Heimatgefühle in mir aufkommen lässt.
Die Stube und die Küche sind etwas anders, als ich mir das gewohnt bin. Von einem Ämtliplan oder regelmässigen Putzaktionen, wie ich sie in meiner Zürcher WG kennen und schätzengelernt habe, ist hier nicht viel zu spüren. Es ist nicht schlimm, aber auch nicht vollkommen toll. Es ist sowas zwischendurch. Ich muss und werde mich daran gewöhnen. Meine Mitbewohner dagegen schätze ich sehr. Wie gesagt, ich möchte sie euch bald näher vorstellen.
Mein Zimmer liegt geschätzte drei Gehminuten vom Universitätscampus entfernt. Ich gehe über den Parkplatz, überquere die Route 66 und bin da. Auch der Safeway (der amerikanische Coop mit viel Frischgemüse, Obst und freundlicher Bedienung) ist nicht allzu weit, und bis zum „historic downtown“ (die Anführungszeichen sind bewusst gewählt) habe ich zu Fuss genau 15 Minuten. Die Lage, mindestens, ist also beneidenswert gut. Über „Crag’s List“, eine Amerika-weite Online Austauschbörse, werde ich mir in den kommenden Tagen ein gebrauchtes Velo kaufen, um etwas mobiler zu sein. Bis spätestens Anfang November möchte ich im Besitz eines Autos sein (ich habe bereits einen guten Kontakt knüpfen können). Und irgendwann die nächsten Tage möchte ich das Internet-Problem angehen. Momentan habe ich in meinem Zimmer noch keinen Zugriff auf das World Wide Web. Der sehr gemütliche Barnes&Noble Bookstore mit integriertem Café gleich nebenan, der täglich bis um 22 Uhr geöffnet hat, ist eine gute Übergangslösung.
Flagstaff, wie es ist und lebt. Eigentlich etwa so, wie ich es mir vorgestellt habe. Und doch, wenn der Traum zur Wirklichkeit wird, verlieren die schönen Farben an Intensität, gewisse Konturen verwischen. Es ist gut, hier zu sein. Momentan bin ich aber auch froh, nicht ewig hierbleiben zu müssen.